: Von Spaltung spricht keiner bei den Grünen
Der Programmparteitag der Grünen am kommenden Wochenende soll nach den Vorstellungen von Realos und „Aufbruch“ vor allem Trennungslinien zu den Linken markieren und die Grünen zu einer ökologischen Partei jenseits der Klassenfrage machen / Die Parteiflügel wagen nicht, in gewohnter Weise aufeinander einzuprügeln ■ Aus Bonn Gerd Nowakowski
Noch sind die Signale bei den neuerdings gemeinsam streitenden Realos und der „Aufbruch„-Strömung nicht eindeutig; man möchte schon losschlagen gegen die Linken, traut sich aber nicht recht. Schließlich lehrt die Erfahrung bei den Grünen, daß verliert, wer zuerst zieht. So bleibt man unverbindlich. Es sei „Zeit für politische Linienentscheidungen“, sagt die realpolitischen Vorstandssprecherin Ruth Hammerbacher und ihr Vorstandskollege Ralf Fücks (Aufbruch) verlangt, die grüne Identität „neu zu definieren“ für eine „zweite Gründungsphase“. Von Spaltung wollen beide Vorständler vor dem am Wochenende in Hagen stattfindenden Programmparteitag nicht sprechen. Es wird „nicht Spaltung, sondern Trennung geben“, so Fücks. Realos und Aufbruch setzen darauf, daß klare programmatische Entscheidungen der Delegierten die Trennungslinie markieren werden. „Karlruhe wird sich nicht wiederholen“, betont die linke Vorständlerin Verena Krieger. Im Gegensatz zum Sturz des fundamentalistisch dominierten Vorstands und dem Auszug des radikalen Parteiflügels auf dem Karlsruher Parteitag von 1988 werde sich diesmal der linke Rand „nicht abschubbern“ lassen.
Um nicht unnötig Angriffsfläche zu bieten, haben die Linken kurzfristig aus ihrem Antrag die Passage zum Verhältnis zur PDS wieder entfernt. Eine mögliche Zusammenarbeit mit der PDS hatte kürzlich die Diskussion aufgeheizt. „Wer ein solches Bündnis betreiben will, gefährdet den Zusammenhalt der Partei“, heißt es in einem Antrag von Realos und Aufbruch an die Delegierten, der nun ins Leere zielt. Bei den Linken wird so getan, als hätte man derlei Überlegungen nie geäußert. Die PDS-Debatte sei ein „Taschenspielertrick“, um die Linke zu treffen, sagt Verena Krieger. Man wehre sich allerdings gegen die „Stigmatisierung“ und den „Unvereinbarkeitsbeschluß“ gegen die PDS, meint Vorstandsmitglied Jürgen Reents. Bemerkenswert, daß sich für alle Parteiflügel die heftigst umstrittene Frage der Zweistaatlichkeit durch die Entwicklung in der DDR überholt hat. Realos und Aufbruch betonen, der Einigungsprozeß müsse durch die Grünen mitgestaltet werden, auch über die Forderung nach einer verfassungsgebenden Versammlung für ein vereinigtes Deutschland. Für die Parteilinke ist dies eine Illusion. Nicht die von Realos angestrebte Regierungsbeteiligung läge vor den Grünen, sondern allein die Oppositionsrolle, aus der heraus die Partei den „Widerstand gegen die schnelle Anschlußpolitik“ und gegen die absehbaren sozialen Probleme einer Vereinigung entfalten müsse. Eine Zusammenarbeit mit den Partnern in der DDR ist dabei für alle Flügel selbstverständlich; nur wer dazu zu zählen ist, ist umstritten. Widerstand regt sich gegen die von den Linken vorgeschlagene Oppositionskonferenz, an der das „ganze Spektrum“ der ökologischen, radikaldemokratischen und linken Opposition beider deutscher Staaten beteiligt sein solle.
Zum eigentlichen Feld des stillen Zerrens und Herausdrängens aus der Partei aber ist die Ökologie geworden. Doch nicht die konkreten Forderungen sind es, die die Partei zerreißen - da ist man sich oft einig. Es ist die bei den Realos mitschwingende ideologische Richtungsänderung, die die Diskussion beherrscht. Angesichts der drohenden Umweltkatastrophe müßten sich die Grünen von der Systemfrage mit ihren hemmenden Schuldzuweisungen verabschieden und die Gattungsfrage stellen, sagt die Reala Ruth Hammerbacher. Gleiches beim Aufbruch: Die Grünen dürften nicht das „ökologische Projekt mit dem dem sinkenden Schiff des Sozialismus verketten“, vertritt Ralf Fücks. Die Linken werten denn auch die Forderung der realpolitisch orientierten Strömung, nun müßten die Grünen, ähnlich wie die französische Schwesterpartei, voll auf die Ökologie setzen, vor allem als Vorwand, um eine Ausgrenzung zu organisieren. Verena Krieger moniert, daß mit dem Verweis auf den abgewirtschafteten Realsozialismus „jede sozialistische Zielperspektive mit erledigt“ werden solle. Für sie sind die Realos vor allem deshalb unglaubwürdig, weil sie ein ökologisches „Sonntagsprogramm“ vorlegten, daß im Realo-Alltag zum Beispiel von der Befürwortung von Müllverbrennungsanlagen konterkariert werde. Sie stellt die Wichtigkeit der Ökologie nicht in Frage, dies sei aber „nicht das Maß aller Dinge“. Die sozialen Fragen kommen für sie hinzu. Verena Krieger warnt davor, den Grundkonsens der Partei zu zerschlagen, der vor zehn Jahren von Ökologen und linkssozialistischen Strömungen gezimmert wurde. Nur dieses Bündnis halte die Grünen lebensfähig.
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