: „Rot-Grün als Gegenmodell zur Anschlußpolitik“
■ I N T E R V I E W
Die Fraktion der AL Berlin wählte am Dienstag die 34jährige Rechtsanwältin Renate Künast zur Fraktionsvorsitzenden. Ihre Vorgängerin war am letzten Wochenende aus Protest gegen die Kita-Politik des Senats zurückgetreten.
taz: Auf den ersten Blick scheint diese rot-grüne Koalitionskrise in Berlin so zu sein, wie man es aus der Vergangenheit kennt. Die Partei ist sauer, droht damit auszusteigen, und am Ende bleibt alles beim Alten.
Renate Künast: Diese Krise und Auseinandersetzung hat eine neue Qualität. Hier steht nicht nur der Kita-Streik zur Diskussion. Das ist die Gesamtschau von einem Jahr Rot -Grün.
Also eine Krise der Funktionsträger über ein Jahr Frust und angehäufte Niederlagen?
Sicher ist es so, daß die Leute, die im Parlament oder in der Partei Politik gemacht haben, die alltäglich die Koalition machen, ungeheuer belastet sind und ausgebrannt. Aber das ist es nicht allein. Es hat sich in den letzten Monaten, konkret seit dem 9. November, in dieser Koalition etwas verändert. Der Stil ist entscheidend anders geworden. Die SPD ist nicht mehr kompromißbereit, betreibt schlicht Blockadepolitik. Da wird einfach gesagt, mit uns nicht Punkt.
Warum hat die AL nach dem 9. November nicht versucht, gemeinsam mit der SPD Forderungen gegenüber Bonn zu formulieren.
Ich glaube, in der Situation waren sowohl SPD als auch AL überfordert. Die AL ist jetzt soweit, daß sie ihre Position stärker in die Diskussion einbringen will. Vor allem bei der Frage: Wie kommt eine neue Verfassung zustande. Die Bundes -SPD blickt ja auch schon mit einer gewissen Verzückung auf den Paragraphen 23. Wir müssen jetzt die Diskussion mit der Berliner SPD anfangen und sagen: Wenn es um eine Berliner oder Brandenburger Verfassung geht, werden wir hier ganz klar zeigen, daß es auch anders geht, nämlich gemeinsam.
Ihre Vorgängerin, Heidi Bischoff-Pflanz, hat ihr Abgeordnetenhausmandat nicht nur aus dem Frust über den Senat niedergelegt, sondern auch, weil sie mit den Maximalforderungen ihrer Basis nicht mehr zurechtkam.
Seit der Koalition stehen die AL-FraktionärInnen unter einem besonderen Druck. Sie müssen mit der SPD Kompromisse machen und sind mit den radikalen Grundsatzpositionen der Basis konfrontiert. Aber darüber hinaus muß sich auch die Basis aus der Rolle des schlichten Delegierens an die Funktionsträger herausbegeben und uns die politischen Vorgaben machen. Es kann aber nicht so sein, daß sie uns das einfach auf ein Blatt Papier schreiben und sagen: Macht mal. Denn auch bei einer Koalition können Forderungen nur durchgesetzt werden, wenn es eine öffentliche Diskussion gibt.
Beim Kita-Streik konnte sich die AL über eine Unterstützung an der Basis nicht beklagen.
Das ist ja kein Automatismus. Was ich aufgezählt habe, erweitert ja nur die Möglichkeiten und den Handlungsspielraum der Fraktion. Aber das hätte mehr öffentlich diskutiert werden müssen.
Sie haben nach dem Rücktritt von Heidi Bischoff-Pflanz gesagt, die Gründe träfen auch für Sie zu. Was läßt Sie weitermachen?
Das Prinzip Hoffnung und die Ansicht, man müsse es noch mal anders mit der SPD probieren. Mit einer größeren Bündelung und Schwerpunktsetzung, gerade im Bereich der Deutschlandpolitik und der sozialen Folgeprobleme.
Vieles in der Vergangenheit war schizophren. Beispielsweise auf der vorletzten MVV. Da wurde mit 90 Prozent Zustimmung beschlossen, die Koalition weiterzuführen, und gleichzeitig mit ebenso großer Mehrheit die Frage der Tarifverträge im Kita-Bereich zum „Essential“ für die Zusammenarbeit gemacht. Die Frage der Koalition wird von der AL nicht mit der Logik des kleineren Übels beantwortet, daß nur verhindert werden soll, der CDU die Stadt in Geschenkpapier zu übergeben. Die SPD muß ihren Willen zeigen, Rot-Grün zum Gegenmodell der Bonner Anschlußpolitik zu machen. Brigitte Fehrl
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