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Rote Armee im Gespräch

■ Militär nennt Kontakte „fruchtlos“ / Frage der Deserteure vorrangig / Estland vor Unabhängigkeitserklärung / Volksfront stellt Grenztruppe auf

Berlin (taz/dpa) - Zwischen dem sowjetischen Militär und der litauischen Regierung kommen die Verhandlungen offenbar nur schleppend in Gang. Während der stellvertretende Regierungschef Litauens, Ozolas, das erste Treffen positiv bewertet hatte, bezeichnete der Sprecher des sowjetischen Verteidigungsministeriums, Nauman, die bisherigen Kontakte als „fruchtlos“. Er ärgerte sich, daß Landsbergis und andere Litauer desertierende Soldaten nicht zur Rückkehr in ihre Verbände auffordern. Stattdessen fänden sie „Schutz in katholischen Kirchen, Krankenhäusern und auf dem Gelände staatlicher Einrichtungen“.

Daß die Frage der Deserteure seit dem Wochenende im Mittelpunkt des Konflikts steht, ist Anzeichen dafür, daß das Militär und nicht unbedingt Gorbatschow die Bedingungen der litauischen Unterwerfung diktiert. Die Frage ist nun, ob Gorbatschow sich zu einem späteren Zeitpunkt mit einem Unabhängigkeitsangebot als Retter in der Not präsentieren will. Vorerst sehen die Litauer jedoch nur die bewaffnete Seite der Moskauer Strategie. Sowjetische Zeitungen berichten, die Lage bleibe schwierig und gespannt. „Separatistische Kräfte“ erpreßten Wehrdienstleistende, um sie zur Desertion zu bewegen. Sogar ein russischer Offizier ist schon desertiert, wurde in Vilnius bekannt.

Die Krise führt jetzt auch zu Spannungen in anderen Republiken. Die ukrainische Regierung mußte pro-litauische Kundgebungen verbieten, und das ZK der Belorussischen KP äußerte sich besorgt über die Auswirkungen auf die Union. Gestern trat außerdem der neugewählte estnische Oberste Sowjet zu seiner ersten Sitzung zusammen. Es wird erwartet, daß er Estland unabhängig erklären wird. Die Unabhängigkeitsgegner haben nur 27 von 105 Mandaten inne. Am Dienstag hatte der separatistische Estnische Kongreß die Wiederherstellung Estlands auf der Basis der Vorkriegsverfassung als Ziel verkündet. Volksfront -Führungsmitglied Veideman bestätigte, daß man mit der Formierung „militarisierter Selbstverteidigungsgruppen“ zum Schutz der estnischen Grenzen begonnen habe.

Die USA meinten unterdessen, die Krise sollte die Beziehungen nicht belasten. In der kommenden Woche wird Außenminister Schewardnadse zu Gesprächen in Washington erwartet.

D.J.

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