: Wesentliche Nebensachen
■ Premiere: „Butzbacher und Brommelmeier auf Korsika“ von Hans König im Lagerhaus
Klavieriges a la Satie läßt zunächst alles offen, ebenso die fast leere Bühne und zwei Erzählerfiguren in Kostümen - eine Mischung aus Fußball 1956 und Popper 1990. Die Erzähler Janine Jaeggi und Michael Pundt beleuchten mit Licht- und Biographiespots die Protagonisten des korsischen Abends Butzbacher und Brommelmeier (Martin Pollkläsener und Hans König vom theatre du pain), die wie Wachsfiguren der Madame Tussaud der Betrachtung des Publikums anheim gestellt werden.
Doch die „Figuren“ werden in den Köpfen des Publikums noch vor dem ersten Abenteuer „spielend“ leicht lebendig: Brommel
meier, gebürtiger Rupert von Durchstadt und ostmärkisch -starrsinniger Abstammung, landet nach der unfreiwilligen Trennung von Jona auf Korsika, philosophierend, singend und voller Weltschmerz und Wut.
Dort trifft er auf Butzbacher, Friseursohn aus Schneverdingen, frühes Objekt geschwisterlicher Experimentierfreude und nach dem ersten Ich-Erlebnis mit dem elterlichen Entsafter den „humores“, den Säften der Natur eng verbunden. Zwei deutsche, männliche Existenzen, gestrandet auf Korsika und schicksalhaft vereint - beide arbeiten sich dialogisch und auch live bänkelsängernd im Schildstraßenkorsika an
den offenen Wunden der Vergangenheit ab.
Gemeinsam erleben sie sich durch die 30 Mikrodramen auf dem Labortisch der Bühne, sprachlich zum Leben erweckt und seziert durch herrlich skurrile Texte von Hans König; in Szene gesetzt von den beiden unerbittlich genauen ErzählerInnen und der Lächerlichkeit preisgegeben dem mikroskopischen Blick des Publikums, das sich im Okular oft selbst wiedererkannt haben dürfte.
Das erste Drama läßt den Funken gleich überspringen, deckt die kabarettistische Ader des Autors auf: „Wenn Jesus ertrunken wäre, müßten statt der Kreuze
überall Aquarien stehen“, stellt Butzbacher keuchend im korsischen Gebirge fest. Seine Mimik läßt eineinhalb Stunden lang die spartanisch ausgestattete Bühne vergessen, und der philosophisch-trotzige Brommelmeier lenkt ergänzend den Blick der lachenden Dritten in deren je eigenes Innere. In den 30 Kleinodien absurden Theaters entstehen (ir-) reale Bilder vor und mit den Augen der faszinierten Guckkastengucker.
Zerberstende Schiffe, walzertanzende Männer in der Maccia, uneinnehmbare Raviolidosen und die Traumfrauen Brommelmeiers bevölkern die Phantasie. „Findest du nicht, daß du gut gemeinte Fragen, wenn auch wie Nebensächlichkeiten inszeniert, ein wenig zu stramm belegst?“, fragt Butzbacher Brommelmeier und erhält, wie so oft, keine Antwort. An diesem Abend wurden gute Fragen und herrliche Nebensachen stark gespielt und stramm beklatscht.
Noch Freitag bis Sonntag im Lagerhaus Schildstraße, 20.30 Uhr Jörg Maye
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