Ökologisch gegen sozial?-betr.: "Wer im Treibhaus sitzt, soll Steine schmeißen", taz vom 26.3.90

betr.: „Wer im Treibhaus sitzt, soll Steine schmeißen“,

taz vom 26.3.90

Mir stinkt sie einfach, diese ewige Einteilung in „linke Grüne“ und „grüne Grüne“ - oder gar „rechte Grüne“. Wir Grünen sind Menschen wie alle anderen auch, und das heißt: Wir sind Menschen, die sich auflehnen, die sich anpassen, die sich gerne unterwerfen, die andere gerne unterwerfen, die sich um der Sache willen engagieren, die sich um ihrer Karriere willen engagieren, die zu Extremen neigen, die zu Kompromissen neigen, die Angst haben, die Mut haben, die die Freiheit wollen, die Furcht vor der Freiheit haben, die die Bequemlichkeit lieben, die bereit sind, Opfer zu bringen, die ohne Solidarität nicht leben können, denen Solidarität zu üben schwerfällt, die nach Macht gieren, denen Macht zuwider ist, die anderen grundsätzlich vertrauen, die anderen nur mißtrauen, die in Schubladen denken, die in komplexen Zusammenhängen denken, für die die Klassenfrage das Wichtigste ist, für die die Gattungsfrage das Wichtigste ist, denen vieles an der PDS unsympathisch ist, denen vieles an der PDS sympathisch ist, die psychische Probleme haben, die diese Probleme als solche erkennen und abtrennen können, die diese Probleme als politische mißinterpretieren, die vor allem die Splitter im Auge des anderen sehen, die fähig sind, den Balken im eigenen Auge zu erkennen, die Verantwortung gerne abgeben, die Verantwortung gerne übernehmen und so weiter und so weiter: Wir sind Menschen.

Die meisten von uns sind Menschen, die von alledem etwas und von dem einen zu viel und/oder vom anderen zu wenig haben. Oder politisch ausgedrückt: Die meisten von uns haben wohl erkannt, daß das Profitmaximierungsprinzip einer vom Kapitalismus beherrschten und patriarchalisch bestimmten Gesellschaft die Ursache der ökologischen und sozialen Katastrophen unserer Zeit ist. Gleichzeitig aber sind wir realistisch genug zu sehen, daß diese Ursache abzuschaffen, längern dauern wird, als uns die Natur noch Zeit läßt.

Deshalb wollen wir hier und jetzt das Machbare tun und getan wissen - wenn es diese Ursache gleichzeitig angreift, gut, wenn nicht, werden wir vorläufig damit leben müssen. Deshalb sehen wir in einer freiheitlich demokratischen Rechtsordnung sehr wohl eine Chance und kämpfen daher gegen ihre Pervertierung durch wirtschaftliche Kräfte und für radikale Reformen und ökologische Rahmenbedingungen für die soziale Marktwirtschaft. Deshalb kämpfen wir auf lokaler und globaler Ebene - jeder so gut, wie er kann und auf dem Gebiet, das ihm liegt oder für das er kompetent ist. Und weil man dabei leicht den Überblick verlieren kann (wir sind Menschen!) und wir wissen, daß dabei die Gefahr besteht, die eigentliche Ursache aus den Augen zu verlieren und wir das nicht wollen, wählen wir eben unsere Vertreter aus allen Lagern. Und fallen dann eben mit den Kriegers und den Hammerbachers auf die Schnauze, genauso wie mit den Fundis, den Realos oder dem Aufbruch. Denn wir sind Menschen und die auch. Aber eine andere Lösung sehen wir nicht, und die Spaltung ist auch keine - denn wo sollten diese meisten von uns denn dann hin?

Wir können nur versuchen, dem Schubladendenken immer stärker den Kampf anzusagen und mit der Zeit diejenigen Menschen unter uns herauszufiltern und schließlich zu unseren VertreterInnen zu machen, die das heute so notwendige Denken in komplexen Zusammenhängen beherrschen, zu vermitteln wissen und in politisches Handeln umsetzen können. Die aber sind erstens bei uns genauso selten gesät wie anderswo, und zweitens bedarf das eben vielleicht doch eines Prozesses, der mehr als zehn armselige Jährchen politischer Geschichte dauert - auch ein Gorbatschow erstand der Sowjetunion erst nach 70 Jahren. Also stellt ihr anderen Menschen an uns nicht ständig Ansprüche, die ihr selbst ja auch nicht erfüllt.

Barbara Vollhard, Freiburg

Daß nun hergegangen wird und das „Ökologische Ratschlags -Treffen“ als Strömungskiste instrumentalisiert wird und dies Eingangsreferat von Reinhard Loske - über dessen Qualität frau sehr geteilter Meinung sein kann - hier gezielt als Stimmungsmache gegen die unliebsamen Parteilinken justamente vor der Programm-BDK eingesetzt wird, das ist mehr als nur unlauter.

Wahrscheinlich bin ich nicht die einzige der knapp 20 TeilnehmerInnen des Ökologischen Ratschlags, die sich jetzt verarscht und instrumentalisiert fühlt. Durch diese Art der Vorgehensweise ist die Chance zu einer „ökologischen Erneuerung“ schon im Vorfeld abgeschmettert worden, und ich denke, die Parteibasis sollte nicht für so blöde gehalten werden, solche Manöver nicht zu durchschauen.

Das sogenannte „Eingangsreferat“ wurde so auf dem „Öko -Ratschlag“ nicht gehalten - es hätte andernfalls wohl heftige Debatten ausgelöst. Zitate wie: „Klimaschutz als Schwerpunkt muß im Programm als solcher zu erkennen sein, muß sich bei zukünftigen Haushaltsvorschlägen in den Parlamenten zu Lasten anderer Bereiche niederschlagen, gegebenenfalls auch zu Lasten zusätzlicher Sozialleistungen“ (Hervorhebungen d. Verf.) (wie war das noch mit Grundsicherung, Absicherung gegen Altersarmut usw.?) oder „Die aus dem Demokratisierungsprozeß in der DDR resultierende 'Aufmischung‘ der deutschen Parteienlandschaft eröffnet die einmalige Möglichkeit, daß sich grüne Grüne und rote „Grüne“ friedfertig trennen, tragen nichts zu einer „ökologischen Erneuerung“, aber viel zur Demontage der Partei bei.

Das Eingangsreferat im Wortlaut wurde den Beteiligten des Ökoratschlags erst Mitte letzter Woche übersandt...

Sigrid Engelbrecht, BHA-Mitglied, Sprecherin BAG-Frauen

Inmitten der vielen richtigen Forderungen in Loskes Artikel hat sich ein unguter Unterton eingeschlichen, der endlich thematisiert werden sollte; er ist nämlich öfter zu vernehmen.

Mag die traditionssozialistische „Klassenfrage“ auch längst überholt sein, die soziale Frage ist es mitnichten, sondern wird künftig wie gegenwärtig verschärft gestellt. Sie ist mit der ökologischen Frage verknüpft, deren Lösung ist überhaupt nur mir der Lösung der ersteren zu denken, denn eine nicht mehr dem quantitativen Wachstum verschriebene Gesellschaft, die die soziale Frage nur mit diesem Wachstum verschleiert, muß primär eine Verteilungsgesellschaft sein. Die Kombination von Grundeinkommen und Arbeitszeitverkürzung bildet jene Komponente, mit der zusammen erst die ökologischen Steuerungen mit „materiellen Anreizen“, „Preismechanismen“ und Verbote von Zersiedlung und Chlorchemie greifen können, ohne daß dies auf die sozial Schwachen und die Drittweltländer abgewälzt wird.

Maßnahmen, wie sie derzeit bereits eingeleitet werden, die Verdreifachung der Gebühren für Wasser und Müllabfuhr, führen erst einmal dazu, daß die Grundexistenzkosten in die Höhe schnellen, und das trifft jene, deren Einkommen niedrig ist, zuerst. Dazu kommt die Tendenz, die direkte Besteuerung der Bürger zu senken („Steuerreform“), dagegen die indirekten Steuern zu erhöhen (Mehrwertsteuer, bestimmte Nahrungs- und Genußmittel, Kraftstaff), was noch einmal die Lebenskosten in einer für die Armen nicht ausgleichbaren Weise erhöht. Die Grünen sollten es grundsätzlich vermeiden, im allgemeinen Verteilungskampf als so etwas wie eine weitere Lobbygruppe zu erscheinen, ihre Politik als Lobbyismus, noch dazu auf Kosten der Armen und Arbeitslosen, durchsetzen zu wollen.

Wenn auf Seiten der Grünen ernstlich an der Gleichung „Klimaschutz... gegebenenfalls auch zu Lasten zusätzlicher Sozialleistungen“ festgehalten wird, also die Verteilungsfrage ausgeklammert, dann ist es für das Drittel der Benachteiligten günstiger, sich der Sozialdemokratie zuzuwenden, sofern es hier noch starke Kräfte gibt, die ökologische und soziale Sicherung in einem Paket schnüren. Denn das Aufsichnehmen von Opfern, die mit der Loske-Linie den Armen zweifach abverlangt werden sollen, garantiert ja noch nicht die Sicherung der Zukunft - und dann ist es besser zu sagen: Nach uns die Sintflut.

Vera Hoffmann, Berlin

Schön, daß es auf dieser Welt doch noch einfache Lösungen gibt; jedenfalls laut Loske: „Der (sic!) linke Flügel“ der Grünen gehört zu PDS, „marxistischer“ VL und „Nelken„; „der ökologisch-radikaldemokratische Flügel“ arbeitet mit DDR -Grünen, Neuem Forum usw. zusammen. Und damit ergibt sich die „einmalige MÖglichkeit, daß sich grüne Grüne und rote „Grüne“ (sic!) friedfertig trennten“.Leider ist es doch nicht ganz so einfach. Warum jeder, der sich dem linken Flügel zurechnet, gleich Sympathien für die PDS etc. haben soll, verrät Reinhard Loske nicht. Die pejorativ gemeinte Etikettierung der VL als „marxistisch“ ist erstens falsch und zeugt zweitens von einem „Freiheit statt Sozialismus„ -Denken der siebziger Jahre. Dazu paßt es auch, daß der linke Flügel mittels Interpunktion von Grünen in rote „Grüne“ verwandelt wird - auch dies ein zwar bekannter („DDR“ statt DDR), trotzdem dürftiger Argumentationsstil; Reinhard Loske hingegen ernennt sich zum grünen Grünen: also weißer als weiß.

Weiter: Der wesentliche Streit bei den Bundes-Grünen der achtziger Jahre war der zwischen Fundis und Realos. Diese Auseinandersetzung läßt sich aber kaum dadurch lösen, indem die Fundis zu „dem linken Flügel“ ernannt werden und ihnen die Tür gewiesen wird. Vielmehr wäre es an der Zeit zu diskutieren, ob das Wahrnehmen von „Jahrhundertchancen“ (Christian Ströbele) zum Beispiel in Berlin nicht nur recht lupenreine sozialdemokratische Machtpolitik produziert hat.

Die Niederlage im Berliner Kita-Streik mag insoweit einen Fingerzeig geben und vielleicht endlich die überfällige Diskussion eröffnen: Was hat realpolitische Politik für eine ökologische, basisdemokratische, soziale, gewaltfreie Umgestaltung gebracht?

Thomas Henne, Heidelberg