: Leipziger Professoren für „Wildwest im Osten“
Anläßlich der Umwelttagung Utech in Berlin (West) fordern Wendeprofessoren die bedingungslose Übergabe der DDR an die Westinvestoren / „Um Vorschriften brauchen Sie sich nicht mehr zu kümmern“ / Tagungsteilnehmer peinlich berührt ■ Aus Berlin Gerd Rosenkranz
„Mit der DDR ist es wie mit einer Luxusfreundin: Wir hätten sie zwar gern, aber unter Umständen ist sie uns zu teuer.“ Professor Hieke hat das Männerwitzchen, das ihm ein potentieller Westinvestor erzählte, zu seiner neuen Leitidee erkoren. Jurist Hieke von der Handelshochschule in Leipzig ist vor dem Umbruch in der DDR als Oppositioneller, soweit bekannt, nicht in Erscheinung getreten. Damit die „Umstände“ nicht eintreten, meinte er nun bei einem Seminar der Berliner Umwelttechnologie-Tagung „Utech“, sei es nun an der DDR, alles zu tun, um „nicht die Luxusfreundin zu werden, die wir nicht sein wollen“.
Was der Professor dann im Detail ausführte, war einem Teil seines (West)-Publikums, vornehmlich Umwelttechnologen aus Industrie und Behörden, eher peinlich. Denn Hieke und ebenso sein Leipziger Kollege und Wirtschaftsprofessor Lotze fordern tabula rasa in der DDR, freies Feld für Westunternehmen aller Art, „Wildwest im Osten“, wie ein Zuhörer leicht irritiert feststellte.
Die Veranstalter des Seminars „Sanierungsbedarf und Know -how-Transfer im Umweltschutz“ hatten potentielle Teilnehmer mit der Ankündigung ins Berliner ICC gelockt, dort über die aktuellen Rahmenbedingungen bei Joint-ventures im Umweltbereich zu informieren. Die These der beiden Professoren aus dem Süden jedoch lautete: Es gibt keine Rahmenbedingungen, und das ist gut so. „Sämtliches Hineinregieren in die Wirtschaft muß künftig Null sein“, forderte Lotze kämpferisch. Schon heute brauchten sich Westunternehmen „um Vorschriften nicht mehr kümmern“ mangels Kontrolle.
Sein Kollege Hieke im selben Tonfall: Bei der anstehenden Änderung des Rechtssystems gebühre der Wirtschaft „unbedingter Vorrang“. In der kurzen Zeitspanne bis zur Installierung der Währungsunion bleibe allerdings nur ein Weg: „Die Wirtschaftsgesetzgebung der BRD unverändert zu übernehmen.“ Damit „ist das gesamte Gestrüpp von Verordnungen und Anordnungen der Kommandowirtschaft weggeräumt“, freute sich der Rechtsprofessor, der bis zum vergangenen Herbst auf der Basis dieses Gestrüpps an der Handelshochschule Leipzig gelehrt hatte.
Vor den Bedingungen für Joint-ventures, die noch die Regierung von Hans Modrow schuf, möge sich niemand ängstigen, beruhigte Hieke seine vermeintlich kapitalkräftigen Zuhörer. Die 49-Prozentregelung bei Firmenbeteiligungen sei längst Schnee von gestern. Auch die bisher gültigen Festpreise für viele Güter in der DDR stellten praktisch kein Hindernis mehr für investitionsfreudige Westunternehmen dar, weil sich die Preise sehr bald „nach Marktbedingungen bilden werden“. Eine gewisse Hürde bleibe allenfalls das Bodenproblem, doch werde unter der neuen Regierung sicherlich eine zeitlich unbegrenzte Nutzung möglich. „Da haben Sie den Boden fast wie Eigentum.“
Beim Arbeitsrecht müsse „manches zurückgedreht werden“, weil es in der DDR bisher nur sehr eingeschränkte Kündigungsregelungen gebe. Doch auch dies werde wohl geregelt, sobald sich die neue Regierung in Ost-Berlin gebildet habe. Den Investoren empfahl wiederum Lotze, sie mögen sich nicht länger über jene Vorstellungen grämen, die die Initiatoren der Revolution bis zuletzt am Runden Tisch entwickelt hätten. „Kümmern Sie sich nicht darum, was am Runden Tisch geredet wurde.“
So sehr der Leipziger Rechtsprofessor seiner Bewunderung für die Segnungen des westdeutschen Rechtssystems freien Lauf ließ, auf einem Gebiet mochte er an die Übernahme westlicher Regelungen und Standards gar nicht denken: beim Umweltrecht. Heute in der DDR unter umweltpolitischen Gesichtspunkten zu investieren, sei „problematisch“, weil damit die „Aufholjagd“ in Sachen Wirtschaftskraft nur behindert werde. An verstärkten Umweltschutz sei erst zu denken, wenn die Wirtschaft „etwas mehr abwirft“.
Widerspruch erntete schließlich der Ökonom Lotze, als er verlangte, Westunternehmen dürften nach der Übernahme giftiger Ostklitschen keinesfalls zur Altlastensanierung herangezogen werden. Das sei „ein klassisches Plädoyer für die Sozialisierung der Umweltschäden“, maulte ein Zuhörer aus Bremen und traf damit die Stimmung jener, die im Ökokatastrophengebiet Ost möglichst rasch Umwelttechnologie verkaufen wollen.
Andere warnten vor der Übernahme des BRD-Umweltrechts, weil es viele Elemente der Planwirtschaft enthalte und die Anwendung in der DDR ohnehin eine „schöne Illusion“ sei. Dort nämlich fehle zur Umsetzung das Verwaltungsrecht, eine entsprechende Gerichtsbarkeit sowie ein unabhängiger Vollzugsapparat. Den Vertreter der Howaldtswerke Deutsche Werft focht das selbstverständlich nicht an. Im Gegenteil: Es sei eine „große Chance, daß das Umweltrecht dort noch nicht so entwickelt ist, wie bei uns“. Investitionen würden so jedenfalls nicht durch jahrelange Genehmigungsverfahren verzögert.
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