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Immer, wenn 'se schwebt, is was los

■ Zur Abnahme der Quadriga vom Brandenburger Tor

Ulrike Krenzlin

Als ich am 23. März 1990 unter den Schaulustigen stand, die zusahen, wie Viktoria mit einem riesigen Hebekran aus ihrem Siegeswagen gehoben wurde und zur Erde schwebte, bemerkte ein offenbar geschichtskundiger Berliner neben mir: „Immer, wenn 'se schwebt, is was los.“ Die geflügelte Gestalt, die sich in ihrem grünspanenen Kleid vom strahlend blauen Himmel abhob, wirkte tatsächlich engelhaft schwebend.

Doch nicht immer waren die Gründe für ihr Herabschweben so friedfertige. Im Jahre 1806, nach Napoleons Einzug durch das Brandenburger Tor, ist die Quadriga als Siegespfand Frankreichs gegen Preußen abgenommen worden. Vom 2. bis 8. Dezember 1806 ließ Napoleon dieses damals schon berühmte Denkmal nach Paris transportieren. Um Preußen, insbesondere seine Hauptstadt, tief zu demütigen, entführte er die Quadriga trotz heftigster Proteste in das von ihm eingerichtete Musee Napoleon. Bis zum 7. August 1814, also insgesamt acht Jahre, gähnte Leere vom Brandenburger Tor. Man betrachtete dieses seines Schmuckes beraubte Stadttor als nationale Schande.

1950 sind - aus welchen Gründen auch immer - die ohnehin stark zerstörten Kriegsreste der Quadriga so unsachgemäß abgenommen worden, daß vom Original - bis auf einen Pferdekopf - nichts zu retten war. Bis 1958 gähnte wiederum acht Jahre Leere vom Brandenburger Tor herab. Seit 1958 schmückte schließlich eine von alten Gipsabgüssen abgenommene neue Quadriga das Tor. 1990 hat die Quadriga nun ein drittes Mal ihren angestammten Platz - für ungefähr einundeinhalbes Jahr - verlassen, um vollkommen neu eingekleidet zu werden. Denn die ihr in der rauschhaften Silvesternacht 1989/90 zugefügten Schäden an der Kupferhaut machen eine gründliche Restaurierung notwendig. Ein gebrochener Arm, der Raub ihres Kopfputzes aus Lorbeer und der entlaubte Eichenblattkranz als Siegessymbol in ihrer Hand sowie erhebliche Schäden an den Zügeln und den Ortscheiten (Vorrichtungen zum Anschirren der Pferde an einen Wagen) zählen zu den Verlusten, zu denen noch die Beschädigungen des Tores, eines Architekturdenkmals, hinzukommen.

Die Anfang dieses Jahres in den DDR-Medien gesendeten Spendenaufrufe fanden ein unerhörtes, zumal internationales Echo. Alle Welt - bis hin zu den USA - interessiert sich brennend für dieses einzigartige Denkmal aus der preußisch -deutschen Geschichte. Viele Sponsoren fanden sich durch die gemeinsame Aktion „Helft das Brandenburger Tor zu restaurieren“ zusammen. Große Firmen geben ihren Namen für die Restaurierung, wie die Mannesmann AG, das Museum für Verkehr und Technik in Westberlin usw. Doch das internationale Interesse an diesem Denkmal aus der deutschen Geschichte birgt auch erhebliche Gefahren in sich. Public relations um die Quadriga kann auch so aussehen wie der amerikanische Vorschlag, die Quadriga auf eine patentierte Drehscheibe zu setzen. Manche Leute wollen ganz auf die patriotischen und später militaristisch mißbrauchten Siegeszeichen der preußischen Unabhängigkeitskriege, das Eiserne Kreuz und den preußischen Adler, verzichten und wünschen sich ein Siegessymbol mit Friedenstaube. Jedenfalls ist die Quadriga über Nacht zur Symbolgestalt der „sanften Revolution“ in der DDR geworden und an die Spitze der Nationaldenkmäler aufgerückt.

Das Preußen-Symbol war 1958 - von einer entsprechenden Propaganda begleitet - aus dem fertiggestellten Siegessymbol der Viktoria herausgesägt worden. In unserer unmittelbaren Vergangenheit glaubten Einflußreiche mit den Unerträglichkeiten der deutschen Geschichte am besten fertig zu werden, indem sie diese aus dem Gedächtnis tilgten oder deren Denkmäler verschwinden ließen, sie mindestens aber ihrer Attribute beraubten. Doch Denkmäler sind authentische Geschichtszeugnisse. Ihr Verschwinden macht nichts ungeschehen. Also stellen wir Authentizität wieder her und geben der Viktoria ihr Eisernes Kreuz und den preußischen Adler zurück. Denn Schinkel entwarf dieses Siegeszeichen im Jahre 1813 anläßlich der Rückgabe der Quadriga als französisches Raubgut. Mit dem Eisernen Kreuz hatte Friedrich Wilhelm III. 1813 einen Orden gestiftet, der Helden der Unabhängigkeitskriege, ungeachtet ihrer Ränge, verliehen wurde. Mit diesen neuen Siegeszeichen feierten die Berliner 1814 das Brandenburger Tor schon einmal als „Porta triumphalis“.

Die Quadriga wurde berühmt. An ihrem Anfang wie an ihrem (vorläufigen) Ende standen Revolutionsgeschehnisse, die Symbolwert schaffen. Die Quadriga wurde im Jahre 1789 konzipiert. Wie das Brandenburger Tor selbst sollte auch dessen plastischer Schmuck den „Triumph des Friedens“ veranschaulichen. Der Architekt Carl Gotthard Langhans und der erste Berliner Bildhauer Johann Gottfried Schadow ließen sich in ihren Entwürfen des Tores und der Plastik von Friedensgedanken leiten. Deswegen ist es auch für uns wichtiger, das Tor als Zeichen der Öffnung, als erneuerten Durchgang von Ost nach West und umgekehrt und im weiteren Sinn als eine Pforte zum gemeinsamen Haus Europa anzunehmen, als immer nur wieder den traurigen Mißbrauch in seiner Vergangenheit zu beschwören, bei dem das Tor oftmals als Zeugnis des Militarismus und machtgestützter Vermauerung erschien.

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