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An den Rand g gedrängt

■ Wird Fahrradfahrern ein neuer Radweg zugestanden, geht das meist auf Kosten der Fußgänger. Der Platz für Menschen zu Fuß und zu Rad kann jedoch nur vom Auto kommen. Über die Zukunft des Fahrrades und die Zukunft der Stadt berichtet

HELMUT HOLZAPFEL

adfahren ist im Aufwind, so tönt es immer noch optimistisch von der Seite Umweltbeflissener, und in der Tat: Waren sie nicht toll, unsere Fahrraddemonstrationen?

Wie aber sieht es mit dem Radfahren im Alltag aus? Ein Beispiel aus der Praxis: „Meine Nase!“ - die Sorge um das in etwa formgerechte Fortbestehen des Riechorgans bestimmte die letzten Zehntelsekunden meines Falls nach vorn. Vor mir war der bis dahin ruhig dahinfahrende Müllwagen abrupt zum Halten gekommen, um gerade hier die Aufnahme der Zivilisationsreste zu beginnen. Die Lücke links schloß ein nach heftigem Abbremsen halb querstehender PKW. Zu scharf hatte ich die Vorderradbremse gezogen, und fast landete ich im Müll. Es dauerte eine Weile, bis mir die Allegorie der Situation ein Grinsen entlockte und über die Schmerzen hinweghalf. Das Fahrrad - hat es noch eine Zukunft? Oder ist es nach kurzem Boom schon wieder reif für die Mülltonne?

Die Alltagsnutzung des Rades hat mit seinem immer noch guten Image - vor allem im Freizeitbereich - wenig zu tun. Die Schwierigkeiten des Fortkommens haben sich in vielen Städten eher erhöht. Abgedrängt auf sowieso schon enge Fußwege durch ein Schild und eine mehr oder minder deutliche Bemalung, gilt es, Hunden, Wartenden an Bushaltestellen oder aus Einfahrten herausschießenden Fahrzeugen („mußte so weit vorfahren, konnte ja sonst nichts sehen“) gekonnt auszuweichen - von allfälligen Dreckhaufen, Baustellen etc. ganz zu schweigen.

ie in der Stadt för d e r u n g s w ü r d i g e n Arten, sich fortzubewegen, nämlich zu Fuß und mit dem Fahrrad, haben sich entsprechend in den vergangenen Jahren kaum positiv verändert. Der Anteil von Fahrradwegen stieg von 1976 bis 1986 lediglich von 8,6 auf 10,4 Prozent, der Anteil der Fußwege sank im selben Zeitraum von 33,6 auf 28 Prozent. Zwar gab es bei den Fahrradwegen einen Zuwachs, doch der Anstieg ging offensichtlich auf Kosten der Fußwege, ja, zusammengenommen haben Fußwege und Radwege sogar abgenommen.

In derselben Zeit ist die Länge der Wege ständig gestiegen, wir überbrücken immer größere Distanzen. Böswillig könnte man sagen: Die Menschen in der Bundesrepublik haben das Fahrrad eigentlich nurmehr benutzt, um weiter weg zu fahren. Dies entspricht einem allgemeinen Trend: Die Siedlungsstrukturen in der Bundesrepublik entwickelten sich weiter zu größeren Ausdehnungen, unsere Städte werden „breiig“. Das Fahrrad ist offenbar ein Hilfsmittel, diese Entwicklung zu bewältigen, wenn die Entfernungen zu groß werden.

Immerhin: Wer Fahrrad fährt, fährt nicht Auto. Nur zu Fuß oder mit dem Fahrrad bewegen sich Menschen ökologisch und sozial verträglich fort; diese Verkehrsarten erhalten auch noch einigermaßen das, was mit dem Begriff „Urbanität“ nur unzureichend beschrieben ist: Belebtheit der Stadt, menschliche Dimension, Kontaktmöglichkeit (auf dem Fahrrad werde ich immer wieder nach dem Weg gefragt, meist aus Autos heraus!).

ie Stadt, die sich auf Zugänglichkeit zu Fuß oder mit dem Fahrrad einrichtet, sieht notwendigerweise anders aus als die Autostadt, die es in den USA vorbildhaft gibt und der einige deutsche Städte bereits recht erfolgreich nacheifern. Immer mehr Flächen erhält der motorisierte Verkehr. Selbst in den sogenannten „verkehrsberuhigten Bereichen“ entstand oft genug, obwohl dort formal kein Parken außerhalb markierter Flächen zulässig ist, nichts anderes als ein großer Parkplatz.

Die Fahrradstadt gibt es in einigen wenigen Beispielen. Sieht man etwa durchaus mittelgroße holländische Universitätsstädte wie etwa Groningen oder Delft, kann man erahnen, was auch bei uns möglich wäre. In solchen Städten fällt sofort neben der Ruhe und dem Fehlen stinkender Abgase auch die kleinteilige, dezentrale Struktur von Handel und Gewerbe auf, die sich von den großflächigen supermarkets der Autostadt stark abhebt. Bis zu drei Viertel aller Wege werden dort nichtmotorisiert zurückgelegt.

Gibt es aber in der Bundesrepublik zumindest die Möglichkeit, eine Veränderung des bisherigen Trends einzuleiten? Voraussetzung wäre zunächst, den Menschen zu verdeutlichen, daß es für die Zukunft der europäischen Form von Stadt wenig Alternativen zu einem massiven Wandel in der Nutzung der Verkehrsmittel gibt. Eine neue Verkehrspolitik kann nicht von oben delegiert werden, eine Politik zur Beschränkung motorisierten Verkehrs muß auf dem Bewußtsein aufbauen, daß damit mehr Qualität von Stadt und Leben erreicht wird, ja ein Überleben überhaupt erst ermöglicht wird. Denn: Konfliktfrei kann die Zukunft des Fahrrades in der Stadt nicht erreicht werden. Der Platz auf den Straßen kann nur einmal vergeben werden, und der für die Menschen zu Fuß oder mit dem Fahrrad kann nur vom Automobil kommen.

xemplarisch kann und muß demonstriert werden, wie eine andere Zukunft aussehen könnte: Auch Städte in der Bundesrepublik wie Münster oder Erlangen zeigen, wie Maßnahmen für das Fahrrad mehr städtische Lebensqualität, weniger Luftschadstoffe und mehr Verkehrssicherheit erbringen.

Folgende Maßnahmen sind nur Beispiele aus dem möglichen Spektrum:

-Beseitigung der Pflicht, ungeeignete und unsichere Radwege benutzen zu müssen;

-generelle Erlaubnis, Einbahnstraßen auch in Gegenrichtung nutzen zu dürfen (ist nun selbst vom HUK-Verband als sicher akzeptiert!);

-drastische Verbesserung von Fahrradabstellanlagen (an Haltestellen des öffentlichen Verkehrs gehören solche Anlagen, teilweise abschließbar, mit Schließfächern für Wertsachen oder Gepäck; Fahrradparkhäuser, wie derzeit in Münster in Planung, dürfen nicht nur Ausnahme bleiben);

-generelle Absenkung der Innerortsgeschwindigkeit des motorisierten Verkehrs auf 30 Stundenkilometer, vor allem auch an wichtigen Fahrradrouten, auch wenn dies gleichzeitig wichtige Verbindungen für den motorisierten Verkehr sind.

Grundsätzlich dürfen Verbesserungen des Fahrradverkehrs nicht auf Kosten des Platzes derer gehen, die zu Fuß unterwegs sind oder sich einfach nur im Gehwegbereich aufhalten wollen.

s gibt zwei Wege, auf denen sich die Stadt in der Zukunft entwickeln kann, und wir müssen entscheiden, in welche Richtung wir gehen wollen. Der noch überwiegend beschrittene Weg ist zweifellos der zu einer autoorientierten Stadt mit großen Entfernungen. Der zweite und schwerere Weg ist der in Richtung auf eine auf das Fahrrad und das Gehen orientierte Stadt. Schwerer ist er deswegen, weil er offensichtlich ein Umsteuern erfordert. Die bisherigen Bemühungen um eine Verbesserung der Situation für den Fahrradverkehr in der Bundesrepublik waren insofern erfolgreich, als der Anteil dieses Verkehrs stieg. Dies geschah jedoch im wesentlichen nicht durch weniger Autofahrten, sondern durch weniger Fußwege.

Mit Ausnahme von Modellprojekten (etwa im Rahmen des Projektes „fahrradfreundliche Stadt“) sind die Maßnahmen für die Verbesserung des Fahrradverkehrs kaum mit Einschränkungen für den Automobilverkehr verbunden gewesen. Mehr Attraktivität und Platz für das Fahrrad ohne Einschränkungen bei anderen Verkehrsarten kann letztlich nicht erreicht werden. Daher muß das Automobil in Geschwindigkeit und Fläche beschränkt werden.

P.S.: Zu Müllwagen halte ich ordentlich Abstand!

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