Die tote Eule mit der Zuckerschnute

■ Über Hanna Schygulla und die „Ehe der Maria Braun“, ARD, Sonntag, 23.40 Uhr

Am 1. April serviert uns das Deutsche Fernsehen wieder einmal Fassbinders kalten Blick auf die leidenschaftlichen Wiederaufbauer der Adenauer-Ära. Was da aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs so hektisch zusammengezimmert wurde, ist inzwischen die Bundesrepublik Deutschland geworden. Wer damals etwas werden wollte, brauchte unbedingt einen gesunden Egoismus und eine gehörige Portion Skrupellosigkeit, was er auf keinen Fall gebrauchen konnte, war ein intaktes Erinnerungsvermögen oder gar Gefühle.

Hanna Schygulla war als Maria Braun ideal besetzt, denn das stilisierte Spiel, das RWF von seinen Schauspielern forderte, die anklagende Kälte und Leblosigkeit der Figuren, das konnte die Schygulla zeigen, dafür brauchte sie nicht zu spielen. Das hatte sie schon in früheren Fassbinder-Filmen bewiesen, und was RWF als inhaltliches Ausdruckmittel verwendete, hielt sie zu der Zeit als Die Ehe der Maria Braun entstand, schon längst für die Grundlage von Schauspielkunst.

Das rororo-Filmlexion beschreibt die Schygulla als eine Darstellerin, „die das Ausspielen von Emotionen vermeidet, (...) die darin liegende Gefahr mangelnder Überzeugungskraft kompensiert sie durch ihre sehr individuelle Aura einer kunstvoll stilisierten Weltentrücktheit, in der auch leise Regungen bedeutsam werden, und die es ihr erlaubt, in einem Atemzug Sätze wie Ich bin glücklich, ich bin unglücklich zu sagen und dennoch glaubwürdig zu bleiben. (...) Wie weit sie allerdings in der Lage ist, über diese Spezialität hinaus auch mit anderen Aufgaben fertig zu werden, muß sich noch erweisen.“

Nun, ich für meinen Teil habe das Warten längst aufgegeben. Denn obwohl Hanna Schygulla mit einigen hochkarätigen Regisseuren drehte, so versucht sie z.B. in Marco Ferreris Die Geschichte der Piera eine Nymphomanin zu mimen, spielt Hanna Schygulla immer nur Hanna Schygulla. Der Zuschauer bekommt immer wieder die gleiche tote Eule mit der Zuckerschnute zu sehen, die ihre Monologe aufsagt, als wäre sie eine Fernsehansagerin die die Live-Übertragung einer katholischen Totenmessen anzukündigen hat.

Die Schygulla stört das nicht, denn sie gebraucht das Filmemachen als Lebenshilfe: „Der Ort ist gefunden für meine Geistesabwesenheit. Hier kann ich mit offenen Augen träumen ohne den stieren Blick in die Ferne oder ins Leere oder nach innen und niemand wedelt mit der Hand vor meinen Augen.“ Was für eine Frau! Man kann nur bewundernd die Augen verdrehen, bei soviel Offenheit. Ihre Ehrlichkeit und das Fehlen jeglicher schauspielerischer Begabung haben uns denn auch die letzten Jahre davor bewahrt, diese Inkarnation der Langeweile auf der Leinwand ertragen zu müssen.

Aber die Gefahr ist noch nicht gebannt, denn wo jetzt die ARD den Fassbinder-Klassiker wieder ausgebuddelt hat, kann es durchaus passieren, daß ein übereifriger junger deutscher Filmer wieder auf das Puppengesicht mit den kugelrunden Schleieraugen hereinfällt. Die Schygulla steht jedenfalls bereit. Wie man hört vertreibt sie sich gerade in Paris die Zeit damit, von einer Wohnung in die nächste zu ziehen und auf ein Angebot zu warten. Das müßte allerdings schon ein bißchen mehr Klasse haben als Die Ehe der Maria Braun. Den Film hält sie inzwischen nämlich nur noch für eine „intelligente Schnulze“.

Karl Wegmann