: PREUSSISCHBLAU
■ Das neue Reisemagazin des Fernsehfunks der DDR
Azzuro, il pomeriggio dopo troppo azzurro e lungo per me...,“ hoffte der Rezensent zu hören, als er sein betagtes Schwarz-Weiß-TV anwarf, um sich das neue Reisemagazin Azur des (Ost-)Deutschen Fernsehfunks anzusehen. Aber nichts da: Kein brünstig-kehliger Adriano Celentano röhrte durch den Äther, und kein azurblauer Himmel des dolce-far-niente erhellte die Bildröhre. Preußischblau war angesagt: Bieder, piefig, bierernst und langweilig war das Programm, das Reiselust verbreiten sollte.
Die Trabis kommen, hoffen und fürchten Hoteliers und Gastronomen landauf und landab. Knapp achtzig Prozent aller DDR-Bewohner wollen laut einer Untersuchung des Westberliner Instituts für Tourismus und der Dresdener Hochschule für Verkehrswesen in diesem Jahr verreisen. Dreiviertel der Reiselustigen werden ins Reich - vulgo: Bundesrepublik Deutschland - fahren, weitere sechs Prozent in den Anschlußstaat Österreich. Die anderen westeuropäischen Länder nehmen in dieser Statistik die Schlußränge ein: Frankreich und Griechenland je 3,3 %, Skandinavien 2,9%, Spanien 1,6% und Italien 1,5 %. Ostdeutsche Urlauber bleiben in Deutschland! Eine Alternative haben sie auch kaum. 543 Deutsche Mark und 19 Pfennige, so haben die peniblen Uni -Forscher errechnet, stehen jedem DDRler durchschnittlich an Devisen in diesem Jahr zur Verfügung. Das Krabbenbrötchen am Imbiß auf Sylt kostet bereits 6,50 DM.
Dies weiß offenbar auch der Deutsche Fernsehfunk und schickt seinen Azur-Reporter mit dem Trabi nach Garmisch -Partenkirchen in den blau-weißen Freistaat. Schüchtern, die Handkamera auf der Schulter, erkundigt sich der Fernsehmensch nach Privatzimmerpreisen (13 DM pro Bett), nach Campingplätzen (4,50 DM pro Zeltstellplatz) und nach Jugendherbergen (12,50 DM pro Nacht). In Hotels fragt der Reporter erst gar nicht nach, die kommen für unsere Brüder und Schwestern auch nicht in Frage, zumal wir ja auch irgendwo schlafen müssen. Eine Zweiklassengesellschaft zeichnet sich imaginär am Fernsehhorizont ab: Wessis im 5 -Sterne-Luxus-Hotel mit Kalbsmedaillons und Trüffelleberpastete, Ossis in der Jugendherberge mit Blümchenkaffee und Margarinebrot.
Nach dem Muster „Hauptsache billig“ sind auch die anderen Azur-Beiträge gestrickt: Kurztrip nach Stockholm, Ferien auf Mallorca, ost-westlicher Wohnungstausch, „das aktuelle (Billig-)Angebot“ und ein Quiz (Hauptgewinn: eine Woche auf den Balearen).
Ansonsten ist Azur so spannend und abwechslungsreich wie ein Volkshochschulkurs der späten fünfziger Jahre: Klischeebilder einer heilen Urlaubswelt, unterlegt mit einer dahinplätschernden Pseudo-Volksmusik und pastoralen Erläuterungen aus dem Off. Aber die ehemaligen Genossen des ehemaligen Fernsehens der DDR werden es bestimmt auch noch lernen. Spätestens nach der Vereinigung mit der Deutschen Bundesbank werden - wie in der ZDF-Serie Hotel Paradies
-rein zufällig Wägelchen mit dem TUI-Enblem durchs Fernsehbild huschen, und Gianna Nannini und Eduardo Bennato werden ihre werbeträchtigen Stimmen erklingen lassen: Sotto il ciello di un‘ estate italiana.„
Reinhard Kuntzke
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