: ANGST VORM FLIEGEN
■ Mafia-Airlines Milano-Mainhattan
Mailand ist dreckig. Beständig liegt eine Wolke aus Autoabgasen über der Stadt. la cappa (Kappe) ist aus der Luft schon von den Alpen aus zu sehen. Bei fiesem Nieselregen wird dieser ganze Dreck aus der Luft gewaschen und auf die Straßen gespült, an die Wände geschmiert, auf die (wenigen) Straßenbäume gepappt, ins Gesicht gesprüht. Neinneinnein, nix wie weg aus dieser Stadt! Ab in den Bus Numero 73 und zum Flughafen Linate. Rein in den Flieger, halbe Stunde warten, weil der Luftraum über Frankfurt (jawohl, Frankfurt) schon wieder verstopft ist. Aber doch endlich Düsengedonner, startbeschleunigtes Schrumpfen auf dem Sitz, Regen rinnt am Fenster seitwärts, Wolkenfetzen, Wolken und tröstliche Gewißheit: Wir steigen durch den Dreck, und oben, darüber, scheint noch ein wenig die untergehende Sonne.
Mailand und Frankfurt sind stammverwandt: Beide sind die boomtowns des Nachkriegskapitalismus, nochmal und nochmal durchlauferhitzt, Stammsitze der Banken und Börsen, der Chefetagen und Kommerzverbände. Und des organisierten Verbrechens.
Verbrechen!? Fast greift Grausen nach mir. Warum mußte mir auch ein gut bekannter Linienpilot, der diese Strecke häufig fliegt, erzählen, daß diese - aeronautisch betrachtet Kurzstrecke häufig benutzt werde, wenn es in Frankfurt jemanden umzulegen gelte. Ungefähr so: Hinfliegen, Knarre kriegen, morden, Knarre abgeben, zurückfliegen. Denn: Bevor die Polizei den Gemeuchelten entdecke, sei der Meuchelmörder schon wieder auf dem Rückflug nach Milano. Rom oder Neapel schieden da aus, weil die Flugzeiten zu lang seien; im Falle einer entdeckten Spur müsse dann der Killer mit Kontrollen oder gar Freiheitsentzug rechnen, und das habe auch ein gemeiner Killer nicht gerne.
Vorsichtig drehe ich mich um, in der Gewißheit, in zwei finstere, stechende Augen zu blicken. Hinter mir grinst ein Schnauzbartträger, der sich von 1968 in den Flugzeugsessel verirrt hat, die Stewardeß an. Gehörig über den Wolken zieht der Flieger gen Norden; am Horizont knalliges Orange, zum Zenit hin in Rot, Violett, Blau, Dunkelblau changierend. Eine schmale Sichel begrenzt leuchtend den in der klaren Luft sichtbaren dunklen Teil des Mondes. Gegen das farbige Himmelgeleuchte steht schwarz aus taubengrauer Wolkenschicht das Monte-Rosa-Massiv, klein daneben das Matterhorn. Weiter nach Westen zu blitzen letzte Reflexe auf dem Eis des Mont Blanc. Eine Sicht bis zum Anschlag.
Anschlag! Vielleicht hat der mittelalte Gutgekleidete zwei Reihen hinter mir in Frankfurt Fieses vor! Man weiß ja von Lino Ventura, daß Killer immer gut gekleidet gehen. Jajaja, im Flugzeug den Harmlosen spielen, dann in Frankfurt aber Bomben unter zahlungssäumige Leute legen!
Wie mordet so ein Auftragsmörder eigentlich? „Ha, Halunke, Du hättest die Rechnung begleichen sollen! Nimm dies!“ (Variante E. Flynn). Oder: „Baby, Du schuldest uns was, aber das ist jetzt egal für Dich!“ (Variante Ch. Bronson). Einfach mit einem Schuß aus dem Off (Variante A. Delon) oder per funkentstörter Bombe (Variante RAF beziehungsweise Celler Loch)?
Und was macht der Killer, wenn er nach getaner Arbeit zurückfliegt und über Milano in den Stau von Fluggerät kommt? Geht er ins Cockpit und befiehlt: „Landen, aber bißchen dalli!“ oder schwitzt er Blut und Wasser, weil unten eventuell so mancher carabienere mit MP im Arm auf ihn wartet? Hähähä, geschieht ihm recht, warum pumpt er auch Leute mit Metall voll, bis sie tot sind!
„Möchten Sie etwas essen?“ fragt mich der Kollege der Stewardeß. Klar möchte ich, vor allem, weil ich schon gesehen habe, daß es auch was zu trinken gibt. Würde ein Mafia-Mörder mich eventuell vergiften, weil ich ihm hier auf die Schliche gekommen bin? Wohlige Paranoia rieselt den Nacken runter. Nein, den Kaffee trinke ich nicht. Man weiß ja, Sindona im Knast mit Kaffee vergiftet, und ich bin ja nicht blöd. Außerdem schmeckt der Kaffee in diesen Flugzeugen sowieso immer nach Kerosin in Plastik.
Eine halbe Stunde später kreisen wir, kreisen wir, kreisen wir warteschleifend über Frankfurt. Wie soll man denn so vernünftig arbeiten können als bezahlter Mörder! „Tut mir leid, Pate, das Flugzeug hatte Verspätung.“ So peinliche Ausreden hat mir mein Klassenlehrer auch nie abgenommen. Allerdings bin ich auch nie mit dem Flieger zur Schule geflogen.
Cletus Ossing
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