: Neue Hauptstadt - alter Muff
■ An der Spitze des Gemeinwesens Berlin steht ein „Strichjunge“
Der stellvertretende Parlamentspräsident des Abgeordnetenhauses von Berlin, also der künftigen deutschen Hauptstadt, heißt Albert Eckert und ist ein ALer. Das ist schon schlimm genug. Erschwerend kommt hinzu: Der Mann ist intelligent und dann auch noch schwul. Und anstatt mit der Siebenschwänzigen dreimal täglich sein sündiges Fleisch zu bestrafen, läuft er öffentlich frei herum und hält - gut gelaunt - kluge Reden. Aber es kommt noch schlimmer: Derselbe Mann hat als Schönheitsmasseur gearbeitet und bei seinen Kunden womöglich das Zepter ihrer männlichen Leidenschaft gelegentlich in seinen geschickten Fingern gehalten. „Ein Strichjunge als Parlamentspräsident?“ schreit 'Bild‘. Deutschland, gut Nacht.
Der muffige Atem der 50er Jahre weht offenbar nicht nur durch die DDR, Berlin (West) ist ebenfalls massiv infiziert. Ausgerechnet die Dumpfmeier-Brigade der Berliner CDU, deren Vorsitzender Diepgen mit Bordellkönig Otto Schwanz im Gepäck sich zu Unzeiten monatelang mühsam von Dementi zu Dementi hangelte, während ihre Bauverwaltung den Moabiter Knast übervölkerte und Lummer im Stasi-Bett der Ost-Agentin röchelte, ausgerechnet diese CDU gibt sich jetzt als Vorkämpferin für Moral und Sauberkeit. Und ausgerechnet die 'Bild'-Zeitung, die den freien Fall ihrer Auflage nur noch durch exponentiell wachsendes Tittenaufkommen auffangen kann und sechsspaltig den DDR-Triumphzug von Beate Uhse feiert, macht sich zu ihrem Bauchredner. Aber so sind sie: Verlogen, mies, fies.
Und während in Italien eine Prostituierte als Parlaments -Queen gefeiert wird und im Sauseschritt von Pressekonferenzen zu Talkshows eilt, regieren hierzulande die Propagandisten der Missionarsstellung bei gelöschtem Licht und Baumwollsöckchen. Aber kommen wir endlich auf die Person zu sprechen, um die es hier in Wahrheit geht: Werter Herr Klaus Wienhold, der Sie den „Strichjungen“ so trefflich denunziert haben: Wovor haben Sie eigentlich Angst? Befürchten Sie, daß Ihnen der Parlamentsvize an die Wäsche geht? So eine Sexbombe sind Sie nicht. Da müßten Sie schon was für ihre Figur tun. Oder ist Ihre eigene sexuelle Ambivalenz für Sie so traumatisch, daß Sie nicht in Versuchung kommen wollen? Woher wissen Sie eigentlich von der Massagepraxis? Was bewegt Sie eigentlich im Kopf - und in der Hose, fragt sich
Ihr Manfred Kriener
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