: Dominosteine
Stoltenberg, Bohl und die U-Bootaffäre ■ G A S T K O M M E N T A R
Der Kieler Oberfinanzpräsident Sven-Olaf Hansen wird als erster Verantwortlicher für den U-Boot-Skandal zurücktreten müssen. In der Tat ist die Ablösung des Stoltenberg -Vertrauten längst überfällig. Doch Sven-Olaf Hansen war kein Einzeltäter, und deshalb darf er nicht zum alleinigen Sündenbock werden. Sein Rechtsbruch wurde vom damaligen Finanzminister Stoltenberg angeordnet. Auf der zur Entlastung gedachten Pressekonferenz hat der Minister jetzt erstmals zugegeben, daß er unmittelbar vor der Einstellung des sogenannten „Ermittlungsverfahrens“ der Oberfinanzdirektion Kiel über Details der Scheinuntersuchungen unterrichtet war. Inzwischen ist auch klar, daß alle damaligen Staatssekretäre Stoltenbergs - das heißt Dr. Voß, Dr. Tietmeyer und Dr. Obert - in den U-Boot -Skandal verstrickt sind. Da will der Minister immer noch behaupten, ausgerechnet er sei unbeteiligt? Wie war das doch noch mit dem „Ehrenwort“ Barschels? Auch damals kam die Wahrheit über einen Untersuchungsausschuß ans Licht. Wenn also nach der Osterpause die Stoltenberg-Staatssekretäre und die anderen Beteiligten aussagen müssen, kommt es entweder zu einer Serie von Falschaussagen oder zum Rücktritt Stoltenbergs. Der Obervertuscher im U-Boot-Skandal, der CDU/CSU-Geschäftsführer Bohl, kennt die Dramatik der Situation genau. Er kennt vor allem die Theorie der Dominosteine. Nach Hansen werden viel gewichtigere Steine fallen, wenn es nicht gelingt, den U-Boot-Ausschuß des Bundestags zur Räson zu bringen. Deshalb darf Friedrich Bohl keine weitere Zeugenaussage zulassen. Er muß den Ausschuß knebeln - koste es, was es wolle.
Den ersten hilflosen Vorstoß hat der Kanzler-Vertraute bereits unternommen. Er droht damit, den U-Boot-Ausschuß nicht mehr tagen zu lassen, solange die Grünen ihre Ausschußmitglieder nicht auswechseln. Die jetzigen Vertreterinnen seien rechtsstaatlich nicht zuverlässig, weil sie angeblich permanent Geheimnisverrat begingen. Alternativ fordert Bohl seit Tagen eine offizielle Entschuldigung der Grünen dafür, daß sie die Öffentlichkeit über die Tatsache informiert haben, daß das schmutzige Waffengeschäft mit Wissen der Bundesregierung bis zum heutigen Tage fortgeführt wird. Es ist konsequent. Derselbe Bohl, der möchte, daß die Stasi-Akten unter Verschluß bleiben, möchte auch, daß die Schmuddel-Akten der Bundesregierung als Staatsgeheimnnis behandelt werden. Aber die grüne Fraktion wird ihre Mitglieder im U-Boot-Ausschuß nicht austauschen, die Minister werden trotzdem aussagen müssen, und die Dominosteine werden einer nach dem anderen fallen. Vielleicht heißt dann ein Dominostein auch Friedrich Bohl.
Reinhard Krämer
Der Autor ist als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Grünen im U-Boot-Untersuchungsausschuß des Bundestags.
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