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Neue Hetzkampagne gegen NRW-Grüne

Stimmungsmache wegen Forderung nach Abschaffung des Paragraphen 175 / Versuch, vor der Landtagswahl an die „Kindersexdebatte“ anzuknüpfen / Grüne Forderung ist identisch mit Wahlaussagen der FDP / Die Drogenpolitik als weiterer Knüppel  ■  Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Glaubt man einem Großteil der nordrhein-westfälischen Regionalzeitungen, dann reduzieren sich die zentralen Wahlaussagen der NRW-Grünen zur Landtagswahl am 13.Mai auf die Abschaffung des Paragraphen 175 und auf die Freigabe von Drogen. Wie von unsichtbarer Hand gesteuert, erschienen am Dienstag dieser Woche in fünf Regionalzeitungen, darunter der auflagenstarken 'Westdeutschen Allgemeinen Zeitung‘ ('WAZ‘), und in der Bonner 'Welt‘ fast gleichlautende Berichte und Schlagzeilen, die nur einem Ziel dienten: die Grünen als durchgeknallte Außenseiter darzustellen, die mit Ökologie und Umweltpolitik nichts am Hut haben. Genüßlich erinnert die 'WAZ‘ daran, daß sich die Grünen schon vor der Landtagswahl 1985 „dafür ausgesprochen hatten, Geschlechtsverkehr mit Kindern von der Strafverfolgung auszunehmen“. Die Erinnerung an diese sogenannte „Kindersexdebatte“, die in der Tat auf unsäglichen, bald darauf zurückgenommenen grünen Beschlüssen fußte, soll suggerieren, die jetzigen Forderungen knüpften an den damaligen Unsinn an. Tatsächlich haben die aktuellen Wahlaussagen damit nichts gemein. Die Forderung nach Abschaffung des Paragraphen 175, der den Geschlechtsverkehr zwischen einem über 18jährigen mit einem unter 18jährigen Mann mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht, muß, so kommentiert etwa die in Hagen erscheinende 'Westfalenpost‘, bei „den meisten Eltern schieres Entsetzen auslösen“ . Eine Formulierung, die entweder die absolute Ahnungslosigkeit des Kommentators oder dessen perfide politische Denunziationsabsicht belegt. Tatsächlich würde die Abschaffung des Paragraphen 175 lediglich die Schwulen mit den Heterosexuellen und Lesben gleichstellen, bei denen der Sexualkontakt mit über 14jährigen nicht strafbar ist. Für die Schwestern und Brüder von drüben sind die grünen Forderungen im übrigen ebenso längst geltendes Recht wie in einer Vielzahl anderer Ländern. Auch in der BRD stehen die Grünen nicht etwa allein. Schon das Wahlprogramm der FDP zur Bundestagswahl 1980 verlangt die Abschaffung des Paragraphen 175. Wie die Grünen, so sieht auch die FDP nach dessen Aufhebung den „Schutz von Kindern und Abhängigen durch bestehende strafrechtliche Bestimmungen garantiert“.

Berlins neuer SPD-„König“ Walter Momper forderte bereits 1983 den Berliner Senat auf, im Bundesrat einen Gesetzentwurf einzubringen, „um § 175 StGB ersatzlos zu streichen“. Auch die in den genannten Artikeln naserümpfend zitierte grüne Forderung nach einem „Lesben- und Schwulenreferat“ gehört im Berliner Senat längst zur Realität.

Neben der Schwulenpolitik dient vor allem die Drogenpolitik den nordrhein-westfälischen Bürgerblättern als Grundlage ihrer antigrünen Meinungsmache. Wieder wird so getan, als sei die grüne Absicht, „kleine Mengen von Drogen zum persönlichen Verbrauch vom Straftatbestand zur Ordnungswidrigkeit“ herabzustufen, ein völlig unverantwortlicher, abstruser Vorstoß von extremen Außenseitern. Tatsächlich fordert selbst die hessische Landtagsfraktion der FDP, daß der Erwerb von Drogen „in geringer Menge zum Eigenverbrauch“ straffrei bleiben müsse. Auch führende SPD-Politiker wie der stellvertretende Bonner Fraktionsvorsitzende Wilfried Penner, der noch vor Wochen als Nachfolger von Bundesanwalt Rebmann im Gespräch war, wollen den Drogenkonsum bedingt „legalisieren“. Der Appell des FDP-Bundestagsabgeordneten Ulrich Irmer, der schon im letzten Jahr dafür warb, daß diejenigen, die über unkonventionelle Methoden in der Drogenpolitik nachdenken, „nicht verteufelt“ werden, mag dem Geschmack der beteiligten Journalisten nicht entsprochen haben. Hätten sie jedoch einen Blick über den Zaun in die Niederlande gewagt, wäre ihnen leicht aufgegangen, daß die von der dortigen christdemokratischen Regierung zu verantwortende Strafverfolgungspolitik im Bereich der Drogen so fern von den grünen Vorstellungen nicht liegt.

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