: Gläserne PDS-Fraktion
■ PDS-Abgeordnete unterziehen sich freiwillig einer Überprüfung / Gysi'Böhme, de Maiziere mit „weißer Weste“
Berlin (taz /dpa) Während aus der Gerüchteküche beinahe täglich neue Verdächtigungen ob der vermeintlichen Stasi -Mitarbeit von mehr oder weniger bekannten Politikern der neugewählten DDR-Volkskammer brodeln, hat sich die PDS -Fraktion des Hohen Hauses zu einem bemerkenswerten Entschluß durchgerungen. Die Abgeordneten der SED -Nachfolgepartei stellen sich freiwillig einer Überprüfung, ob sie für das frühere Ministerium für Staatssicherheit tätig gewesen waren. Das soll unabhängig davon geschehen, ob andere Parlamentarier ebenfalls dazu bereit sind. Ihre Absicht bestätigten die PDS-Abgeordneten am Sonnabend mit der Unterzeichnung einer entsprechenden Erklärung.
Am Vortag hatte sich bereits herausgestellt, daß PDS -Vorsitzender Gregor Gysi eine „weiße Weste“ hat. Seine Stasi-Akte wurde gesichtet, ehe Gysi zusammen mit Kirchenvertretern Einsicht in die Dokumente über den CDU -Vorsitzenden Lothar de Maiziere genommen hatte. Dies war auf eine Bitte des designierten Ministerpräsidenten erfolgt. Auch SPD-Chef Ibrahim Böhme ist „sauber“. Bei einer Sichtung der ihn betreffenden Akten im ehemaligen Stasi-Hauptquartier in der Berliner Normannenstraße, an der er selbst teilnahm, hatten sich keinerlei Anhaltspunkte für eine MfS-Mitarbeit ergeben. Mit dem heutigen Montag nimmt er damit wieder seine Ämter als Partei- und Fraktionschef auf.
Die CDU-Fraktion des Hohen Hauses hingegen hat bisher noch nicht bekanntgegeben, ob sich ihre Mitglieder freiwillig mit der Durchleuchtung „ihrer“ Stasiakten einverstanden erklären. Die Christdemokraten haben bisher darauf verwiesen, daß dies ein Thema für die neue Volkskammer sein wird, die dazu einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß einsetzen werde.
Die DSU ist nach ihrer eigenen Meinung „sauber“. Ihr Generalsekretär hat die Abgeordneten sich selbst überprüfen und sich von allen 25 Fraktionsmitgliedern eidesstattliche Erklärungen geben lassen.
Am heutigen Montag wird dagegen eine erste Sichtung von Staatssicherheitsdokumenten der 88köpfigen SPD -Volkskammerfraktion erfolgen. Dies teilte das SPD -Präsidiumsmitglied Martin Gutzeit mit. Es gehe bei der Überprüfung, so Gutzeit, nur um einen ersten Einblick der in Frage kommenden Namenskarteien der Politiker.
Bei dem Termin werden als Vertrauensperson ein Vertreter der SPD-Fraktion, ein Rechtsanwalt, ein Kirchenmann und ein Bürgerkomiteemitglied dabei sein.
DA-Vorsitzender Rainer Eppelmann vertrat im 'Spiegel‘ die Auffassung, daß die erste freigewählte DDR-Volkskammer sowie die Regierung nach menschlichem Ermessen sauber sein sollten. Nach der Überprüfung aller 400 Parlamentarier auf etwaige frühere Stasi-Dienste müsse dann aber ein „Generalpardon“ erfolgen.
Während so, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität die in der Volskammer vertretenen Parteien und politischen Gruppierungen versuchen, durch eine Art „Glasnost“ unter dem schweren Erbe der Stasi-Zeit einen Schlußstrich zu ziehen, beschwört Bundesinnenminister Schäuble in Bonn noch immer die alten Gespenster. In der Zeitund 'Bild am Sonntag‘ teilte er mit, daß die SED-Nachfolgepartei PDS auch weiterhin vom Amt für Verfassungsschutz beobachtet werden soll. Aufgabe dieser Behörde sei schließlich die Beobachtung von Rechts- und Linksextremismus, wozu auch künftig marxistisch-leninistische Organisationen gehörten. Schäuble: „Wir werden den Fehler der Weimarer Republik nicht wiederholen, sondern auch in einem wiedervereinigten Deutschland die freiheitlich-demokratische Ordnung schützen.“
Ob aber die Gefahr besteht, daß dereinst die Abgeordneten einer „wiedervereinigten“ deutschen Nationalversammlung sich ob ihrer Mitarbeit beim Verfassungsschutz durchleuchten lassen müssen, war dem Interview nicht zu entnehmen.
O.K.
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