Chaos im Bremer Schauspiel-Plan

■ Das Publikum murrt, der Oberspielleiter inszeniert, der Generalintendant heißt Hase, die taz enthüllt, warum

Hier bitte das

Spielzeitfoto

mit Kordel

Die ZuschauerInnen sind frustriert bis empört, die Abonnen t Innen murren unverhohlen, bei den Premieren im Bremer Schauspielhaus klaffen, wenn es nicht grad ein Tanztheaterstück von Kresnik ist, in den hinteren Reihen Lücken, nach der Pause auch in den vorderen. Was ist los am Bremer Schauspiel?

Es ist einfach keine tolle Theater atmosphäre da, nur bei Kresnik und bei dem Tucholskyabend gab's sowas. „Es muß doch knacken, es muß doch irgendwann richtig knacken!“ faßt Ursula Momm, zweite Vorsitzende des Vereins Bremer Theaterfreunde, ihre Enttäuschung zusammen. Um die künstlerischen Gründe des Debakels soll es hier ausdrücklich nicht gehen. Denn die Spielzeit ist noch nicht zu Ende, zwei Premieren kommen noch, seit drei Monaten proben SchauspielerInnen an Andras Fricsays „Was ihr wollt„ -Inszenierung; dabei sollte sie niemand stören, der Erfolgsdruck, unter dem sie stehen, ist eh zu groß. Aber woher kommt das Verwaltungschaos, das Tohuwabohu aus Absagen, Umstellungen, Ausfällen, Unfällen, verschobenen und vertauschten Premieren, zurückgenommen Premierenabokarten für „Was Ihr wollt?“

1.2.: Im Bremer Schauspielhaus wird morgen anstelle von Brechts Arturo Ui Lessings „Emilia Galotti“ gegeben. 8.2.: Wegen Erkrankung im Ensemble fällt heute die Vorstellung „Der Nackte Wahnsinn“ im Schauspielhaus aus. Im Schauspielhaus wird morgen Lessings „Emilia Galotti“ statt „Goldener Westen“ gegeben. 12.2.: Im Bremer Schauspielhaus wird „Der Nackte Wahnsinn“ anstelle „Goldener Westen“ gespielt. 13.2.: Im Bremer Schauspielhaus wird morgen „Der Nackte Wahnsinn“ anstelle „Goldener Westen“ gespielt.„

Ohne die “ Kulturnotizen“ im Weser-Kurier ist das Theater überhaupt nicht mehr zu benutzen. Aber das im WK am Katzentisch herumgestoßene WK-Feuil leton ist mal hier, mal da, mal überhaupt nicht zu finden. So stehen immer wieder zu „Emilia Galotti“ Entschlossene vor dem „Goldenen Westen“ oder wo sie sonst nicht hinwollen. Als Helmut Rühl durch Probenunfall ausfällt, und damit Arturo Ui und der Goldene Westen nicht mehr spielbar sind, wird endgültig der Nackte Wahnsinn eine unausweichliche Dauerrealität im Schauspielhaus.

Dies alles übrigens, nachdem gerade der Ui als Notgeburt auf die Bühne gekommen war. Dessen Regisseur Heinz-Uwe Haus hatte Oberspielleiter Andras Fricsay, nach Konflikten mit einigen Schauspielern, kurzerhand von den Proben entbunden. Wenig später wurde „Der Nackte Wahnsinn“ notgeboren, dessen Regisseur sich vor der Premiere wg. Krankheit abmeldete.

Im März mußte dann die Premiere von „Fortschritt“, ohnehin als Notnagel in den Spielplan geschlagen, verschoben werden. Der Schauspieler Michael Derda hatte sich bei den Proben verletzt. Und zuletzt der Gipfel: die PremierenabonnentInnen, die schon verkraften mußten, daß Kresniks „Meinhof„-Stück ihnen erst als Teil des Abos versprochen und dann wieder rausgenommen worden war, bekamen brieflich mitgeteilt, daß sie die schon zugeschickten Karten für Fricsays „Was Ihr Wollt“ nur irrtümlich bekommen hatten. Als Ersatz wurde ihnen, die außer „Emilia Galotti“ im wesentlichen „Klekkerkram“ gesehen hatten, wieder ein unbekanntes Notnagelstück untergeschoben. „Es ist einfach chaotisch,“ sagt Ursula Momm, „ohne das da jemand bösen Willens wäre. Man weiß gar nicht, an wen man sich noch wenden soll.“

So laut die Zuschauer- und AbonnentInnen murren, so verschwiegen ihre Lobbys. Die Geschäftsführerin der „Volksbühne“, Frau Winkelmann, reagiert auf die taz-Anfrage nach Reaktionen ihrer AbonnentInnen befremdet und mit dem Hinweis: Wenn wir Be

schwerden haben, dann ist unser Ansprechpartner das Theater.“

Was ist los am Bremer Schauspielhaus? Die epidemische Unfall - und Krankenserie ist ihrem Wesen nach schwer ergründlich und nicht vorwerfbar, aber sicher nicht zufällig. Sie gibt den Druck und die Verkrampfungen wieder, die die SchauspielerInnen auf der Schattenseite der mit aller Kraft und allem Aufwand geprobten „Was Ihr wollt„-Inszenierung aushalten und eben nicht aushalten. Als Platzhalter und mit Notnagelbewußtsein spielt es sich schlecht locker. Warum aber setzt der Generalintendant dem Chaos noch eins drauf und entzieht dem Premierenpublikum (Momm: „Da ist ja, außer Emilia Galotti, nicht viel Dolles gewesen in dieser Spielzeit“) die schon zugeschickten Karten der mit soviel Aufwand geprobten Shakespeare-Premiere.

Für Tobias Richter eine bedauerliche Panne aus mangelndem „Informationsfluß“. Ursprünglich sollte am 24. April ja gar nicht „Was Ihr wollt“ gespielt werden. Richter zur taz: „Die Panne ist daduch passiert, daß intern, - ich hab das gar nicht gesehen, - durch die Positionsverschiebung 'Was ihr wollt‘ da reingerutscht ist.“ Alles ein bedauerlicher Irrtum. Darüber, daß Andras Fricsay seine unklassische Klassikerinszenierung nicht den abonnierten PremierengängerInnen zumuten wollte, habe es von Anfang an „klare Absprachen“ gegeben. „Es ist nicht so, daß unter Druck der Rückzug angetreten worden ist, das ist überhaupt nicht so.“

Genau so ist es aber eben doch. Und Tobias Richter hat die Wahr

heit auch schon mal klarer gesagt. Z. B. in einem Treffen, das Axel Weber, der nicht nur dem Verein der Bremer Theaterfreunde vorsitzt, sondern auch der Bremer Landesbank, und Ursula Momm mit Intendant Richter und Verwaltungsdirektor Dünnwald hatten, um über vielerlei Chaos zu reden. Die „irrtümlich“ entzogenen Shakespearekarten hatten den Eimer zum Überlaufen gebracht. Axel Weber hatte ziemlich temperamentvoll protestiert, hatte angekündigt, am 24. mit Karte seinen Premierenplatz einzufordern und mit juristischen Konsequenzen gedroht.

Zwischen donnerndem Weber und einem finsteren Dünnwald, der sich erfolglos gegen die Rücknahmeaktion gewehrt hatte, hatte Richter dann doch ein Stückchen von der Wahrheit preisgegeben. Nach der hatte nämlich Andras Fricsay seine Weiterarbeit am Bremer Theater ganz grundsätzlich davon abhängig gemacht, daß bei seinen Premieren und speziell beim anstehenden „Was Ihr wollt“ das kreativitätstötende Ambiente des abonnierten Premierenpublikums aufgebrochen würde. Richter hatte Fricsays existentiellem Kampf des Künstlers gegen die bornierten Kreativitätstöter rund herum, deren einer auf den Namen Dünnwald hört, nachgegeben und als kleinen Irrtum verkauft. Welchletzteres Weber und Momm besonders geärgert hatte: Einen rechtzeitigen und offenen Brief, der Fricsays Interesse erklärte, hätten sie verstanden, mit einem Verwaltungsirrtum abgespeist zu werden, nicht.

Auch die Umstellung der Abo-Regelung für die nächste Spielzeit

trägt Andras Fricsays Premieren abo-Phobie Rechnung. Statt wie bisher Abos für die Häuser, also eins für's Schauspielhaus, eins für's (zumeist Musik -)Theater am Goetheplatz, sollen zwei Schauspielpremieren am Goe- theplatz mit ins Schauspielabo hineingenommen werden. Kalkül: Weniger abonnierte Premieren für Fricsay im Schauspielhaus. Verwaltungsdirektor Dünnwalds Künsten bleibt es überlassen, die hausunterschiedlichen Platzzahlen unter einen Abohut zu zwingen. Was natürlich ganz einfach wird, wenn man auf Dauer davon ausgehen will, daß die Zahl der Premierenwilligen ohnehin in Richtung Null geht.

Hierhin bitte

den Mann mit

Brille und Händen Tobias Richter

Die Regeln, denen das Spielplanchaos im Bremer Schauspielhaus folgt, sind verborgen, aber durch das Gesetz der Reihung erforschlich. Da entfacht der Oberspielleiter Andras Fricsay erstmal einen Wirbel im Namen der ungehemm

ten Schauspielerfreiheit. Der Generalintendant Tobias Richter sieht sich zwischen allen Stühlen und Feuern schmoren, gibt dem Druck seines Oberanarchen nach und hat nach außenhin mit allem Entscheidungserheb lichen nichts zu tun gehabt, nur mit Sachzwang und Irrtum.

So war das in dem Fall, in dem Andras Fricsay den Regisseur Heinz-Uwe Haus, der Krach mit einigen Spielern im „Arturo Ui“ hatte, schon mal eigenmächtig von der weiteren Probenarbeit entband. Tobias Richter, aus dem Urlaub kommend, hat an der Oberspielleiter-Entscheidung dann nicht mehr gerüttelt.

Im Prinzip genauso ging es im Premierenabofall. Der bedrohte Oberspielleiter droht, Verwaltungsdirektor, Publikum, Theaterfreundelobby drohen auch, und wieder macht Tobias Richter seinem Oberanarchen den Max. Dessen Anti-Regel-Drive braucht aber besonders dringlich einen Intendanten, der durchschaubare Abläufe und die Interessen der Theater -Öffentlichkeit wahrt. Den hat er nicht.

Uta Stolle