: Lieber bunte Mischung als braune Einheit
■ Zehntausende demonstrierten am Wochenende in München, Hamburg und Berlin gegen das geplante Ausländergesetz / Das kommunale Wahlrecht ist erster Schritt zu mehr Mitbestimmung
München/Berlin/Hamburg (taz) - Bei Sonnenschein und weiß -blauem Himmel gingen am vergangenen Wochenende Zehntausende in München, Hamburg und Berlin auf die Straße, um gegen das geplante Ausländergesetz zu protestieren. Es waren die größten und lebendigsten Demonstrationen, die drei Großstädte in der letzten Zeit erlebt hatten.
Schon am 11. Mai soll das neue rigide Ausländergesetz im Bundesrat endgültig durchgezogen werden - rechtzeitig vor den Wahlen in Niedersachsen, die möglicherweise die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat zugunsten der SPD ändern könnten. Unter dem Motto „Auch wir sind das Volk“ hatte sich in München ein breites Bündnis aus SPD, Grünen, DGB, Kirche sowie verschiedenen ImmigrantInnenorganisationen zusammengefunden, um das Gesetz zu verhindern.
In Berlin war es den zahlreichen türkischen Parteien und Gruppen erstmals gelungen, ihre massiven politischen Differenzen zu überwinden und gemeinsam in einem Aktionsbündnis für die Demonstration zu mobilisieren. Dem Aufruf hatten sich unter anderem die IG Metall und die GEW angeschlossen. Zur Hamburger Demo hatten über neunzig deutsche und ausländische Gruppierungen aufgerufen.
Das neue Gesetz ist diktiert von Überfremdungsangst, stellte der Münchener Ausländerbeirat Oskar Frankovic bei der Auftaktkundgebung auf der Haidhauser Postwiese fest. Die Frage: „Was bietet der neue Schäuble-Entwurf“ beantwortete er eindeutig: „Wenig Zucker und viel Peitsche.“ Alles andere als human sei dieses Gesetz, betonte auch die Vertreterin des DGB Bayern. Als sie vom Podium herab schmetterte: „Wir wollen gar kein Ausländergesetz“, raunte eine junge Frau aus der Ausländerarbeit: „Endlich hat sie's begriffen.“
Immer wieder wurde auch das kommunale Wahlrecht als erster Schritt zu mehr Mitbestimmung für Ausländer gefordert. „Ohne uns wäre das soziale Leben hier um einiges ärmer, eintönig und nicht so bunt wie jetzt“, machte der türkische Sprecher des bayerischen Arbeitskreises gegen das Ausländergesetz den deutschen ZuhörerInnen klar. „Lieber eine bunte Mischung als braune Einheit“, hieß es denn auch auf einem der Transparente.
Während in München die SPD-Bundestagsabgeordnete Renate Schmidt als Rednerin heftig gegen den Schäuble-Entwurf wetterte, wurde auf der Hamburger Kundgebung scharfe Kritik an dem kaum erkennbaren Widerstand der Bonner SPD gegen das Ausländergesetz geübt. An die Hamburger Sozialdemokraten erging - ebenso wie an die Berliner Genossen - die Aufforderung, sich für einen Stopp des Eilverfahrens stark zu machen, mit dem das Gesetz gerade durchgezogen wird. Eine im wahresten Sinne des Wortes multikulturelle Demo zog am Samstag durch Hamburg: Vom Frauenblock über den Sprecherrat der AussiedlerInnen bis zum türkischen Moscheeverein waren alle vertreten. In Berlin blieben unter den über 10.000 DemonstrantInnen die ImmigrantInnen und Flüchtlinge weitgehend unter sich. Die linke Szene, ob autonom, linksalternativ, halbprogressiv, blieb zu Hause. Dabei hätten die unermüdlichen Sprechchöre auch den deutschstämmigen Herzen gutgetan: In Berlin wurde ein Slogan wieder zum Leben erweckt, den man gar nicht mehr in den Mund zu nehmen wagte: „Hoch die internationale Solidarität.“
lui/anb
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