piwik no script img

Die nasse Grenze fiel ins Wasser!

■ Auf Berlins Gewässern gab es erstmals keine Grenzen: Alles strebte nach Potsdam/Berlin blieb vom Ansturm verschont/Viele Freizeit-Kapitäne eröffnen die Saison erst nach Ostern/Blockade auf dem Müggelsee

Seit dem Wochenende durften sie die Gewässer in Ost-Berlin und dem Umland erstürmen, und einige Westberliner Wassersportler ließen sich nicht lange bitten. Schon Sonntags um elf Uhr hatte die Wasserschutzpolizei 250 Sportboote registriert, die durch die Babelsberger Enge Richtung Potsdam strebten. 100 davon seien Motorboote gewesen, hieß es in der Wache Schwanenwerder. In der Gegenrichtung durchpflügten 120 Freizeitkapitäne die nasse Grenze.

Am Grenzübergang Britzer Zweigkanal dagegen, unweit der von Autos belagerten Kontrollstelle Sonnenallee, konnte der Zöllner die Angel auswerfen und darauf harren, daß die Rotbarsche anbeißen. Auf Sportboote wartete die auf zwölf Mann verstärkte Einheit der Grenztruppen an dem innerstädtischen Wasserübergang nämlich fast vergebens. Nachmittags um halb drei hatten ganze 13 Boote aus West -Berlin Einlaß begehrt; für Sportboote aus der Hauptstadt mußten die Grenztruppen elfmal die Sperre öffnen. „Gerechnet hatten wir mit ein bißchen mehr“, räumte Stabsoberfähnrich Paul Bruse ein. Auch am Übergang Osthafen am Landwehrkanal, dem zweiten Übergang zwischen West- und Ost-Berlin, wurden lediglich zwanzig bis dreißig Boote registriert. Die Saison beginne eben erst zu Ostern, erklärte sich Bruse den geringen Andrang: „Die meisten haben ihre Boote noch gar nicht zu Wasser gelassen.“

Auch Detlef Steppat vom Deutschen Seesportclub in Grünau hatte eine Erklärung für den geringen Andrang parat: Bis ein Sportboot die 30 Kilometer von der Havel zur Köpenicker Seenplatte zurückgelegt habe, seien drei Stunden vergangen: „Und wer will schon so lang durch die Stadt fahren?“ Die zwei rot-weiß gestrichenen Amphibienboote aus West-Berlin, die in Grünau die Dahme hinunterrauschten, hatten die innerstädtische Durststrecke womöglich auf vier Rädern bewältigt - erregten dafür aber Unmut am Ufer in Grünau: „Die lassen doch eine ganze Menge Öl ab“, schimpfte ein Badebehoster, der auf dem Gelände des Deutschen Seesportclubs an einem Kutter bastelte. Ihn „drängelt es nicht“, nach West-Berlin zu touren: „Auf dem Wannsee ist doch alles voller Boote.“

In ihrem Drang nach Potsdam werden die Westberliner vielleicht auch die Sperrung des Müggelsees verkraften, die die Stadtverordnetenversammlung - wie berichtet - verfügt hatte. An der Einfahrt zu dem See versuchten gestern trotzdem einige - Berliner - Kleinkapitäne durchzuschlüpfen. Dort versperrte ihnen nicht nur die Wasserschutzpolizei den Weg, sondern auch einige Dutzend Ruderer und Paddler, die einem Aufruf der BI Müggelsee gefolgt waren. Die Fahrverbote, die die Stadtverordnetenversammlung nach Westberliner Vorbild übernahm, gehen auch für Bootsbesitzer Dieter Leutheußer in Ordnung: „Schließlich wollen wir die Natur genießen.“ Seine „Charon“ stand am Sonnabend noch auf der Straße, einen Tag später schaukelte das Kajütboot im Wasser der Dahme. Der Schriftsetzer wird im Sommer den Dieselmotor anwerfen und nach Mecklenburg schippern.

Der Allgemeine Deutsche Motorsportverband der DDR ist da weniger einsichtig: „Zu Unrecht“ würden die Motorbootfahrer als „Umweltschädiger“ denunziert, schrieb der Verband kürzlich in einem Brief an den Magistrat. Am „Rückgang des Schilfs“ beispielsweise seien nicht die Boote schuld, sondern „die Vielzahl der Wasservögel“. Weil nämlich: „Diese fressen gerade die jungen Triebe ab.“

hmt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen