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Unterm Scheinwerfer in der Gethsemane-Kirche - deutsche Kleinheit

■ Noch einmal zum Gethsemane-Spektakel von Eins Plus und dem Versuch, Radio DDR II aus der DDR-Rundfunklandschaft zu chassen

Am Donnerstagabend hätte ich am liebsten in den Bildschirm getreten. Wo vor knapp einem halben Jahr die alte Regierung ihre Polizisten auf Demonstranten einschlagen ließ, diktierte jetzt Frau Gadatsch vor der riesigen Werbewand von Eins Plus (mit Beteiligung des eingeschüchtert -profilsüchtigen Deutschen Fernsehfunks) deutschen Schreibern ihre Suggestivfragen: “...obwohl seit 1987 im Westen lebend, auch schlimme Erfahrungen in der DDR besitzend, Uwe Kolbe?“ Ich verstehe Stefan Heym nicht, daß er, der keinen Namen zu verteidigen braucht, sich diesem Niveau aussetzt.

Ich verstehe auch Helga Königsdorf nicht, die angenehm unsicher, alle diese Scheinfragen vergessen und nicht ständig die Schuldbekenntnisse zum Maß der Glaubwürdigkeit machen sollte. Zweifel und Ratlosigkeit in dieser Zeit allein sind glaubwürdig. Die Spieße umzudrehen, die Parteiungen zu wechseln, und so die Vergangenheit (wie oft noch?) zu (über)bewältigen, setzt den Stachel einer neuen Polarisierung. Die Damen Feyl und Schubert hatten damit offensichtlich keine Probleme. Ihre hysterischen Ausfälle gegen einen Sozialismus (wie auch immer gearteten) erinnerten mich eher an verspätete Wahlkampfpropaganda, als an eine sachliche, nachdenkliche Antwort auf die arroganten Fragen von Frau Kladderadatsch.

Auch Volker Braun machte keinen besonders klarsichtigen Eindruck; ich weiß nicht, wen in dieser Kirche eine französische Kneipe und das Fressen da interessiert, wo es jetzt allen offensichtlich um existenziellere Probleme geht. Das Publikum machte es deutlich. Die meisten Probleme hatte ich mit Uwe Kolbe, der in yuppiehafter Pose die Leute über westeuropäische „Normalität“ belehren wollte. Der hat Amerika gesehen und plötzlich ist alles normal?

Steffen Mensching war auch in Amerika, im Süden, in Nikaragua. Dem schien das alles nicht so normal, und er war der Einzige, der sich den Blick nicht vom deutsch -europäischen Zentrismus verstellen ließ. Trotzdem wäre es besser gewesen, er wäre nicht hingegangen. Auch Plenzdorf war das Unbehagen anzusehen, als er aufgefordert, den Inhalt von „Kein Runter, kein Fern“ zu erzählen, die Augen verdrehte und auf den Text verwies, wie es normal ist für einen Autor. Hätte auch zu Hause bleiben sollen (Stell dir vor, die machen eine Talkshow und keiner geht hin).

Am meisten hatte es Frau Klatzpatsch offenbar auf Reinhold Andert abgesehen, wegen seiner widersprüchlichen Vergangenheit. Sozialistische Ideen hat der noch immer. Und läßt sie sich nicht vermiesen. Mit dem Staat wollte er noch nie richtig was zu tun haben, und nach dieser Wahl ist er zehnmal mehr Staatsfeind als vorher. Endlich, dachte ich, gibt es dieser gestylten Flachköpfin einer, aber sie beendete das Gespräch erstaunlich schnell. Das ist Journalismus, wie wir ihn schon mal hatten. Nur mit umgedrehtem Vorzeichen. Was früher geschönfärbt wurde, wird heute beschlimmsudelt. Zum Teil sind es dieselben Leute, die das organisieren. Daran ändert auch Bettina Wegener nichts, die von Leuten in der Kirche am meisten verstanden wurde, weil ihre Schmerzen jetzt keine sentimentalen DDR-Schmerzen mehr sind, sondern der wirkliche Verlust einer sich ständig wiedermeldenden Utopie. Das ganze hatte für mich den ekligen Beigeschmack davon, daß die DDR nicht mehr ausverkauft wird, sondern einfach verschenkt und ich bin sauer, daß es Leute gibt, die mitmachen.

Eine ähnliche Hiobsbotschaft am nächsten Tag, als bekannt wurde, Radio DDR II solle als Sender (Kulturkanal) eingeschränkt und die Frequenz für die neuen Landessender freigemacht werden (Antenne Brandenburg, Sender Sachsen u.ä.). Hier geht es an die Substanz. Wieder mal, nachdem im Januar/Februar schon drei Sender keine Hörspiele mehr senden sollten. Was denken sich die Wendevögel, Wiederköpfe und Weichtiere in Adlershof und Schöneweide eigentlich? Daß sie auf die Straße schmeißen könnten, was uns gehört. Daß wir uns in Zukunft alles von Schütz, Bach, Mozart auf Kassetten anhören müssen, weil es das im Radio nicht mehr gibt, und stattdessen nur Modern Talking und Milli Vanilleis in unsere Ohren labern soll. Ich rede nicht über Bewahrenswertes, sondern über Verbesserungswürdiges. Ich rede nicht davon, Altes zu erhalten oder zu erneuern, sondern wirklich neue Sachen zu machen und nicht nur gegen das auszutauschen, was sich woanders auch „bewährt“ hat. Wir lechzen nicht nach alten Hüten, weder von Ost noch von West. Warum können wir keine eigenen Ideen haben?

Es gab eine Chance im Oktober. Damals schrien die Leute: „Stasi in den Tagebau, Schnitzler in die Muppetschau.“ Beides ist zum Teil passiert. Jetzt gehören die, die sich mit ihren Ärschen in den Sesseln festgesaugt haben, in einen schönen, neu zu drehenden Zombiefilm. Welch ein Aufgebot hätte Steven Spielberg, würde er sich in den Büroetagen elektronischer Medien umsehen. Ein Superfilm mit zehn Oskars würde das werden. Die Hauptrolle allerdings müßte Frau Hannelore Kladatzsch von Eins Minus spielen. Die fleischfressende Pflanze mit den blonden Haaren und den rotlackierten Fingernägeln.

Peter Brasch

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