: 2:1 Kurs bringt Frust auf allen Ebenen
■ Gewerkschaften, Betriebsräte, Direktoren gegen Halbierung der Löhne / Kampfmaßnahmen angekündigt / Wahlschwindel der CDU von niemandem akzeptiert / „Wir würden ja am Existenzminimum leben“ / Westliche Wirtschaftsexperten gehen vom Billiglohnland DDR aus
Überall herrscht Frust. Ob in den Kollektiven, bei der Gewerkschaft oder den Direktoren. „Eine riesengroße Enttäuschung“, lautet die allgemeine Reaktion auf den Beschluß des Zentralrates des Bundesbank, den generellen Umtauschsatz bei der Währungsunion auf 1:2 festzulegen.
Das sei nun die Rechnung, die uns die Wahl gebracht hat, meint Hans-Joachim Werner, amtierender BGL-Vorsitzender im Centrum Warenhaus. Eine Halbierung der Löhne, die ohnehin schon nur ein Drittel bis ein Viertel der bundesdeutschen betragen, sei einfach unakzeptabel.„Das ist dann fast gar nichts mehr und eine Mißachtung unserer Arbeit.“ Auf der Vertrauenleutevollversammlung werde dies garantiert ein Thema sein, denn so könne man das nicht hinnehmen.
Unterschiedlicher fällt die Reaktionen hinsichtlich der Spareinlagen aus. Hier wäre man eher bereit, Abstriche zu machen, die aber auch nicht auf die Kosten der Leute gehen dürfen. Ein Umtauschsatz von 1:1 für einen bestimmten Teil des Gesparten, wobei aber 2000 Mark die unterste Grenze ist, und den Rest einfrieren, sei nach Hans-Joachim Werner für viele schon eher akzeptabel. Anderen Kollegen sei dies nicht so wichtig, da sie sowieso nicht soviel Geld haben.
Ähnlich sind die Auffassungen bei den Kollegen der BVB. Ihr Votum gehört eindeutig einem 1:1 Verhältnis vor allem bei den Löhnen, Gehältern und Renten. Sollte dies nicht geschehen, würde die Belegschaft sich ihre Rechte erkämpfen, sagte Matthias Feldmann vom gerade erst gewählten Gewerkschaftrat gegenüber der taz. Dieses Gremium, das die gesamte Belegschaft vertritt und von der Betriebsleitung anerkannt ist, unterstützt deshalb auch den Aufruf des geschäftsführenden Vorstandes der Gewerkschaft in der 'Tribüne‘. Dort heißt es unter der Schlagzeile “ Protest gegen Währungsspekulation“, daß die bei der Wahl abgegebenen Versprechen jetzt von den Wählern mit Nachdruck eingefordert werden. Sparguthaben, Löhne, Renten können nur im Verhältnis 1:1 umgetauscht werden. „Angesichts des großen Einkommensgefälles zwischen BRD und DDR brächte dies nur ein Minimum des versprochenen Ausgleichs und bedeutet keine Gleichstellung.“ Der geschäftsführende Vorstand bereite gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen vor.
Auch der Direktor des Hauptbetriebes Straßenbahn, Jakob, sagte, daß man doch im Wahlkampf vorsichtiger hätte sein können, wenn das versprochene Geld nicht da sei. Man mache ja die Leute ganz wuschig, erst so dann so. Die Konsequenzen für seinen Betrieb kann er noch nicht absehen, aber sinkende Löhne und möglicherweise steigende Fahrkosten, das ginge nicht auf.
Auch für Bernd Schochow, stellvertretender Betriebsleiter der Mitropafahrgesellschaft sind die
Folgen nicht absehbar. Er gehe davon aus, daß dies nicht das letzte Wort ist, und es noch andere Regelungen geben wird. Persönlich halte er die ganze Sache für einen „Wahlschwindel“. Seine Kollegin Brigitte Lehmann aus der BGL sagt: Die meisten sind gegen den Umtauschkurs. „Alle sagen, das kann nicht sein, wir würden ja am Existenzminimum leben. Unsicherheit macht sich breit. Wir stehen gerade vor der Umwandlung der BGL zum Betriebsrat, aber niemand weiß so recht, was auf ihn, auf uns zu kommt.“
Masssiven Proteste in der DDR werden bei dem angekündigten 2:1 Kurs nicht ausbleiben. Trotztdem behaupten weiterhin westdeutsche Wirtschaftsexperten wie Hans-Karl Schneider, daß der Kurs günstiger für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes wäre, da eine Erhöhung der Betriebskosten vermieden werden könnte. Dies würde die Attraktivität für andere Länder und auch für die Bundesrepublik stark erhöhen. Das dem wahrscheinlich eine soziale Talfahrt vorausgeht, scheinen die Menschen hier langsam zu spüren.
Anja Baum
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