: Die DDR nicht auf Kosten Berlins sanieren...
■ Interview mit der Berliner Bundessenatorin Heide Pfarr anläßlich eines Besuches in der Redaktion der taz über ihren Job zwischen Berlin und Bonn, den Berliner Kita-Streik und über Berlin-Subventionen
taz: Die ganze Entwicklung in Berlin läuft ja darauf hinaus, daß Sie bald arbeitslos werden. Oder gibt es nach einer Vereinigung noch eine Bundessenatorin?
Heide Pfarr: Zweifellos. Alle Länder der Bundesrepublik haben ihre Vertretung bei dem Zentralstaatsorgan. Und deswegen wird es immer eine Landesvertretung bei der jeweiligen Zentralregierung geben. Das einzige, was sich ändert - und das ist doch eine erfreuliche Entwicklung ist, daß die deutschlandpolitische Abteilung, die sich damit beschäftigt hat, die spezielle Lage Berlins im Auge zu behalten und sozusagen mitzuverwalten und die Übernahme von Bundesgesetzen nach Berlin vorzubereiten, dann aufgelöst wird. Wir würden eine ganz normale Landesvertretung werden.
Wie ist es denn jetzt in dieser Übergangsphase? Gibt es da ganz besondere Aufgaben in Ihrem Bereich, oder wird das immer weniger?
Wir hatten seit dem 9. November sogar eine Zunahme unserer Aufgaben, die vor allen Dingen darin bestand, daß in Bonn sehr deutlich zu merken war, daß der Abstand zu der DDR und den Bedingungen in der DDR so groß war, daß selbst bei gutem Willen sehr häufig keine ausgeglichene und differenzierte Problemsicht da war. Wir haben zum Beispiel große Schwierigkeiten gehabt, in Bonn klarzumachen, daß es ein Phänomen gibt wie Arbeitspendler, also Leute, die drüben wohnen und hier arbeiten.
Zum Teil wurden dadurch die Löhne stark unterboten, daß Männerarbeitsplätze gesplittet wurden zu geringfügigen Beschäftigungen, die ja sonst typischerweise Frauenbeschäftigungen waren. Das alles bringt neue soziale Probleme. Oder solche Sachen wie „Gesundheitstourismus“, mit dem Effekt, daß viele Leute keine Termine mehr in den Krankenhäusern oder bei den Ärzten bekamen, weil die Termine voll waren. Natürlich stellten sich solche Auswirkungen des Vereinigungsprozesses in Hannover weniger dramatisch dar.
Wieso hat das eine Bedeutung für die Bundessenatorin und nicht für den Gesundheitssenat oder Innensenat, also die direkten Fachressorts?
Das ist ja das Komplizierte an diesem Job, den ich als Senatorin mache: Ich bin in vielen Bereichen ja nicht die, die Inhalte allein erarbeitet, sondern die Botin. Das heißt, wir besprechen das Problem etwa im Senat oder auch in Zweierkontakten, und ich trage es dann in Bonn vor. Das ist insofern spannend für mich, als ich damit eine Querschnittsaufgabe habe, also sozusagen überall reingucke.
Manchmal wird der Bote ja für die Nachricht bestraft. Wo haben Sie diese Erfahrung gemacht?
Als ich die Haltung des Senats und ein Papier des Verkehrssenators zur Reduzierung der Flüge im vorigen Sommer der Bundesregierung überbrachte, da forderte die CDU meinen Rücktritt, nicht aber den Rücktritt des Verkehrssenators, von dem das Papier federführend behandelt wurde. Davon war ich geradezu entzückt, weil ich das Gefühl hatte, wären es Frau Wagner und Herr Pfarr gewesen, wäre ihnen dieser Fehler nicht passiert.
Wie fühlt sich denn die Sozialdemokratin und Frauenpolitikerin Heide Pfarr nach dem Kita-Streik?
Sie können auch sagen: die gewerkschaftsorientierte Arbeitsrechtlerin, die ich ja auch noch bin. Ganz, ganz grauslich. Nicht nur jetzt danach, sondern die ganze Zeit, weil diese Konfliktlage für mich in mehreren Beziehungen furchtbar war. Ich bin zum Beispiel ebenso wie die Erzieherinnen der Meinung, daß die Ausgangslage der Erzieherinnen wirklich damit zu tun hat, daß sie Frauen sind, also ein Prototyp für eine Diskriminierung von Frauen und Frauenberufen. Das ist das eine. Und das Zweite ist, daß ich hier auf der anderen, auf der Arbeitgeberseite die Rolle wahrgenommen habe und meine eigene berufliche Erfahrung als Arbeitsrechtlerin mir sagte, daß hier von der Gewerkschaft Forderungen gestellt wurden, die so nicht gestellt werden können.
Das hört sich ja alles ganz zerknirscht an. Gibt es denn keinen Grund für die Schelte der Gegenseite? Warum kommt das nicht?
Schelte würde mir gar nichts nutzen. Wenn ich aber nach Kritik gefragt werde, da habe ich das Gefühl, daß ab einem bestimmten Zeitpunkt die Frauen für ein Männerspielchen benutzt worden sind, bei dem die Frauen, wie ich fand, häufig genug nicht genauer im Sinne von Alternativen aufgekärt und unzureichend informiert wurden.
Haben Sie ein Beispiel für diese falschen Informationen?
Ja, zum Beispiel sagten die, wir würden die Verbesserung deswegen nicht im Tarifvertrag absichern, weil, sowie die Erzieherinnen aufhören würden zu streiken, eben diese Verbesserungen zurückgenommen würden. Und als wir sagten, wir geben sogar eine gemeinsame Erklärung ab, war das auch nix wert. Darauf bin ich massenhaft getroffen.
Wer sind aber dann die Hahnenkämpfer gewesen, die sozusagen die Frauen als Kulisse brauchten? Waren das Momper und Lange?
Ich könnte mir schon gut vorstellen, daß, wenn ein Bezirksvorsitzender eine solchen Tarifvertrag erstmalig in Berlin durchgesetzt hätte, dies für seine Karriere innerhalb der ÖTV nicht direkt schädlich gewesen wäre.
Gut, gehen wir vielleicht mal zu einem anderen Dollpunkt über. In Bonn und im Bund wird also gesagt, ihr Berliner habt es doch gar nicht so schlecht, ihr seid von uns schon sowieso seit ewigen Zeiten ausgehalten worden, habt euch dann solche Sachen wie B750 und E88 reingezogen, und nun ist doch eure Lage normalisiert. Müssen wir uns darauf einrichten, nicht mehr am Tropf zu hängen?
Wir haben immerfort öffentliche Aussagen des Bundeskanzlers, oder das letzte Mal war es dann Frau Wilms, die es in der Beratung des Innerdeutschen Ausschusses des Bundestages in Berlin betonte: Die sagen immer, solange es noch eine - wie sagt der Kanzler immer - „abnormale“ Situation in Berlin gebe, würden diese Hilfen und Förderungen, würde die Bundeshilfe bleiben. Ich bin nur inzwischen sehr mißtrauisch, weil man aus den Reihen der Regierungskoalition zwar immer einzelne, aber eben zu oft andere Töne hört. Deswegen fürchte ich, daß wir sehr, sehr aufpassen müssen, damit nicht die Sanierung der DDR insgesamt auf Kosten Berlins, möglicherweise vorrangig oder allein auf Kosten Berlins stattfindet. Ich bringe das übrigens auch in Verbindung mit dem Direktwahlrecht.
Inwiefern? Sollen wir dann diejenigen abwählen, die uns die Subventionen streichen wollen?
Wenn wir kein Direktwahlrecht haben, gibt es jedenfalls gar keine unmittelbare Antwort der Berlinerinnen und Berliner auf eine solche Politik. In unseren Diskussionen über die Zukunft Berlins wird klar, daß die Probleme der Stadt sich verändern, aber keineswegs gleich verschwinden. Das unterschiedliche wirtschaftliche Niveau in Ost und West birgt die Gefahr, daß bei einer abrupten Vermischung auch in West-Berlin der Lebensstandard absinkt. Besonders auf dem Arbeitsmarkt wird es hart hergegen. Wenn es da keine Förderung gibt, die auch bewußt diese Sonderlage in Berlin, wo eben doch erst mal noch zwei Welten zusammenstoßen, ins Auge faßt, würden wir hier eine Entwicklung haben, die ich politisch ganz gefährlich finde. Dann bräuchten die Reps nur noch abzusahnen.
Besteht nicht die Gefahr, daß in dieser „abnormalen“ und nun auch noch außergewöhnlichen Situation längst eine große Koalition regiert, an der Spitze mit Herrn Momper und Herrn Kohl?
Nein, das sehe ich bisher nicht. Wir müssen bedenken, daß alle vergangenen Regierenden Bürgermeister, egal welche Partei sie stellte, wegen der besonderen Lage Berlins immer sehr intensive Kontakte zur Bundesregierung hatten.
Gibt es eine neue „Männerfreundschaft“, um einen alten Ausdruck Kohls über seine Beziehung zu Franz Josef Strauß zu verwenden? Herr Momper ist sehr viel moderater geworden.
Also, diesen Eindruck habe ich wirklich nicht. Sie haben aber in einem völlig recht: Ich selbst in meinem Job habe mich in Bonn durchaus darum gekümmert, ein entspanntes Verhältnis zur Bundesregierung zu bekommen. Wenn man hier die Regierung in Berlin stellt, kann man nicht meinen, daß man dabei einen Blumentopf für die Stadt gewinnt, wenn man mit den Bonnern immer in den Clinch geht. Das bringt nichts. Ich finde aber, daß gerade in deutschlandpolitischen Aussagen der Regierende BÜrgermeister und der Senat insgesamt ja durchaus immer wieder andere Akzente gesetzt haben als der Bundeskanzler.
In welchem Fall?
Etwa bei der Frage der Wahl. Wir haben uns hier immer, gerade wegen unserer Problemsicht, für einen gemächlicheren Prozeß des Zusammenkommens ausgesprochen. Wir hatten gemeint, daß es sehr viel besser wäre, insbesondere auch unter sozialen Gesichtspunkten, wenn es langsamer ginge. Das haben die sichtlich nicht akzeptiert. Und ich halte es übrigens im Prinzip immer noch für vernünftiger. Deswegen ist es ja auch nicht gerade kuschelig mit den Kollegen in Bonn, aber ich versuche, unser Verhältnis auf eine sachliche Ebene zu kriegen.
Für die Eigenständigkeit von Problembewußtsein und Politik in Berlin würde es ja sprechen, wenn jetzt doch sehr bald und noch bevor es eine Großberliner Situation gibt, das Ausländerwahlrecht realisiert würde. Wie steht es damit?
Unser Problem dabei ist nicht der Wille der SPD und damit auch dieses Teils des Senats. Das Problem liegt ja ganz anders, nämlich bei der Frage, wie bewerte ich den Vorgang, daß eine gesetzliche Initiative möglicherweise durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts noch in demselben Jahr für nicht verfassungsgemäß erklärt wird. Die Frage stellt sich also eigentlich so: Was ist schädlicher? Ist es schädlicher, auf das Urteil zu warten, oder ist es schädlicher, unter dem Druck eines negativen Urteils die gerade getroffene Regelung zurücknehmen zu müssen?
Interview: geo/tom
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen