: Ist die Stasi nur abgetaucht?
Interview mit dem Regierungsbevollmächtigten für die Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit, dem Bürgerrechtler Werner Fischer, über seine Arbeit ■ D O K U M E N T A T I O N
Gibt es ein Ergebnis ihrer bisherigen Arbeit und befriedigt es Sie?
Fischer: Die Situation, in der wir alle uns befinden, sowohl die Bürgerkomitees DDR-weit als auch wir, die mit Regierungsvollmacht die Auflösung kontrollieren, befriedigt uns nicht. Im Gegensatz zu der Situation von vor zwei Wochen, wo wir einigermaßen das Gefühl hatten, die Auflösung kontrollieren zu können, habe ich jetzt das Gefühl, daß mir alles entgleitet. Das Gefühl hat eine Dimension bekommen, die weit über das hinausgeht, was mit der Auflösung der Staatssicherheit zu tun hat. Nachdem dieses Ministerium fast aufgelöst ist, ist hier sozusagen ein Vakuum entstanden. Das KGB arbeitet, und offensichtlich meinen andere Geheimdienste, im besonderen der Bundesnachrichtendienst der BRD, in die Lücke springen zu müssen.
Bemerken Sie Aktivitäten westlicher Geheimdienste?
Im Moment überhaupt nicht nachweisbare. Auf jeden Fall gibt es eine ganze Reihe von Hinweisen, natürlich immer von ehemaligen Mitarbeitern der Staatssicherheit.
Heißt das nicht, daß auch die Stasi noch arbeitet?
Ich glaube, daß sie als Mitarbeiter des MfS nicht mehr arbeiten. Möglichkeiten bestehen in einer Weiterarbeit für andere Auftraggeber, beispielsweise KGB oder andere, insbesondere westdeutsche Geheimdienste.
Aufgelöst wird die Stasi von der Stasi selbst. Ist das richtig?
Mitarbeiter der ehemaligen Staatssicherheit sind vom Ministerpräsidenten beauftragt, diese Auflösung vorzunehmen. Das halte ich auch gar nicht für so verkehrt. Nur sie wissen natürlich, wie sich dort alles verhält. Sie kennen die Örtlichkeiten am besten. Wichtig dabei ist, daß diese Arbeit der Auflösung kontrolliert wird, und hier sind es die Bürgerkomitees, die diesen Prozeß, der DDR-weit läuft, kontrollieren.
Sind die Bürgerkomitees dazu personell imstande?
Ich glaube, ja. Ob sie in jedem Fall in der Lage sind, die volle Kontrolle auszuüben, muß in Anbetracht der Unkenntnis der Örtlichkeiten und Zusammenhänge in diesem Apparat hin und wieder in Zweifel gezogen werden.
Diese Inkompetenz würde ja den Gedanken nahelegen, sie durch Quantität auszugleichen. Hinter jedem Stasi-Auflöser müßten dann ein oder mehrere Angehörige der Bürgerkomitees stehen.
Ich hätte mir sehr gewünscht, daß die Bürgerkomitees personell verstärkt werden. Wir haben aber im Gegenteil die Erfahrung machen müssen, daß sich nach den ersten heftigen Wochen im Januar die Zahl der Mitarbeiter reduziert hat. Es sind sehr viele abgesprungen.
Problematisch ist nicht nur die Zahl, sondern auch die Zusammensetzung...
Das macht allen problembewußten Leuten, auch den Bürgerkomitees, Schwierigkeiten. Die Zusammensetzung erfolgte von Anfang an sehr sporadisch. Niemand ist überprüft worden, und die Möglichkeit, daß sich der eine oder andere ehemalige Mitarbeiter der Staatssicherheit hier untergebracht hat, besteht... (Gab es keine weiblichen Mitglieder beim Stasi? d.S.)
Glauben Sie trotzdem noch an den Erfolg Ihrer Arbeit?
Die Regierungsbevollmächtigten zur Auflösung des MfS für die Bezirke und in der Normannenstraße können den gesamten Prozeß dieser Auflösung überhaupt nicht kontrollieren. Wir müssen uns darauf verlassen, daß die Bürgerkomitees vor Ort ihre Arbeit machen. Wir müssen versuchen, uns in die schwer zugängliche Gedankenwelt der ehemaligen Mitarbeiter des MfS, die die Auflösung betreiben, hineinzuversetzen, und den Versuch unternehmen, immer einen Schritt weiter zu denken.
Uns zugeteilte Staatsanwälte blockierten die Arbeit
Ihr aktuellstes Problem ist die Weigerung der Generalstaatsanwaltschaft unter Berufung auf die angebliche Immunität der neuen Volkskammerabgeordneten, deren Überprüfung zuzustimmen. Stichwort - Stasi in der Volkskammer!
Wir waren wohl von Anfang an zu zögerlich im Umgang mit der Generalstaatsanwaltschaft. Wir haben die Erfahrung machen müssen, daß uns Staatsanwälte zugeteilt wurden, mit denen die Zusammenarbeit mehr als dürftig war. Mitunter hatten wir den Eindruck, daß hier sogar blockiert wurde.
Es gibt eine heiße Diskussion über die Personenakten vernichten oder nicht vernichten; einsehbar machen oder nicht. Ein Präzedenzfall wäre die Problematik der Volkskammerabgeordneten. Welche Möglichkeiten gibt es, diese Akten zu erhalten und gleichzeitig zu sichern, daß sie nicht unbefugt verwendet werden?
Um das letzte vorwegzunehmen: Eine hundertprozentige Sicherung gibt es nicht. Deshalb habe ich von Anfang an dafür plädiert, die sechs Millionen Personendossiers zu vernichten, weil sonst jeder von diesen sechs Millionen erpreßbar wäre. Ich wollte vermeiden, daß ein Verdächtigungsklima geschürt wird, eine Progromstimmung. Nach der Wahl und nach der Fülle an Hinweisen, die wir bekommen haben, denke ich, wenn jetzt Leute per Wahl politische Verantwortung in diesem Lande übernehmen, ist das etwas anderes. Ich denke, daß die Bevölkerung ein recht auf Überprüfung der Abgeordneten hat. Sonst müßten wir uns den Vorwurf gefallen lassen, vertuschen zu wollen. Da gab es für mich eine Zäsur, und ich habe mich dafür eingesetzt, daß eine Offenlegung der Daten aller gewählten Kandidaten erfolgt.
Es bleibt das technische Problem der Aktensicherung.
Es gibt mehrere Varianten. Eine ist mir sehr sympathisch: das gesamte Archivmaterial unter internationale Kontrolle zu stellen. Auf jeden Fall muß durch Gesetz sichergestellt werden, daß das Material nicht an Salzgitter übergeben wird. Denn diese Forderung gibt es bereits. Man muß auch sagen, daß ein erheblicher Teil der hier erfaßten Daten bereits seit langem im Besitz des KGB ist, und es ist auch davon auszugehen, daß andere Geheimdienste über diese Daten verfügen.
Wie lange wird die Auflösung der Stasi noch dauern?
Es ist sehr schwer, einen konkreten Zeitpunkt zu nennen. Ich gehe davon aus, daß es möglicherweise noch ein Jahr dauern kann, ehe man mit gutem Gefühl behaupten kann, das MfS existiert nicht mehr, weder materiell, noch personell, noch in den Strukturen.
Bildet sich nicht eine Organisation, die nominell zur Auflösung der Stasi eingesetzt wurde, im Grunde aber das Gegenteil betreibt oder jedenfalls nicht mehr tut, als unumgänglich ist, und an deren Spitze als Alibi ein gestandener Oppositioneller steht?
Ich halte das nicht für abwegig. Allerdings habe ich viele und lange Gespräche mit an der Auflösung beteiligten ehemaligen Mitarbeitern des MfS geführt. Dabei ist mir deutlich geworden, daß man differenzieren muß. Ein großer Teil dieser Leute der unteren Ebenen ist von seiner Führung enttäuscht und zeigt sich sehr kooperativ. Ich müßte mich sehr täuschen, wenn sie das betrieben, was Sie angesprochen haben.
Diese ja. Aber Gesundschrumpfen bedeutet nicht Auflösen. Woher wissen Sie, daß das nicht alles eine große Show ist, hinter der das Eigentliche erhalten bleibt?
Es ist natürlich schwierig, aus meiner Position dieser Formulierung zuzustimmen. Wenn dem so wäre, müßte ich natürlich sofort alles hinwerfen und aufgeben. Aber aus der Kenntnis meiner Arbeit gehe ich davon aus, daß die Wahrscheinlichkeit einer Restaurierung sehr gering ist. Ich sehe die andere Gefahr, daß ehemalige hochrangige Mitarbeiter aufgrund ihrer Verbindungen und Kenntnisse im Bereich der Wirtschaft Fuß fassen. Dafür gibt es Hinweise. Sie wissen, welche Betriebe welchen Wert haben und wie effektiv sie arbeiten. Ich habe auch die Befürchtung, daß etliche, die im Besitz bestimmter Informationen sind, dies irgendwann einmal anwenden. Möglicherweise aus kommerziellen Motiven. Das allein wäre schon schlimm genug. Was mir außerdem Sorge macht, ist, daß diese Leute in der Politik Fuß fassen - wie jetzt am Beispiel einiger Volkskammerabgeordneter zu sehen ist. Wir hätten damit ein erpreßbares Parlament und eine erpreßbare Regierung.
Gekürzte Fassung eines Interviews aus dem DDR -Oppositionsblatt 'Die Andere Zeitung‘ (dem Neuen Forum nahestehend).
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen