Lehren aus der Offensive der FMLN ziehen

■ Der salvadorianische Oppositionelle Ruben Zamora über die Chancen neuer Friedensverhandlungen zwischen Regierung und FMLN

Ruben Zamora ist Generalsekretär der salvadorianischen Oppositionspartei „Christlichsoziale Volksbewegung“ (MPSC), die vor zehn Jahren aus einer linken Abspaltung der Christdemokratischen Partei hervorging. Zamora ist Ende 1987 aus dem Exil zurückgekommen und hat vor einem Jahr mit seiner Partei in der Allianz „Convergencia Democratica“ an den Wahlen teilgenommen. Im Rahmen der Demokratisch -Revolutionären Front (FDR) ist er gleichzeitig Verbündeter und Kritiker der Befreiungsfront FMLN. Er gilt als einer der schärfsten Analytiker der salvadorianischen Verhältnisse.

taz: Unter Mitwirkung des UNO-Generalsekretärs de Cuellar wird am 4. April in Genf der Versuch unternommen, den Dialog zwischen Regierung und FMLN wieder in Gang zu setzen. Was kann dabei herauskommen?

Zamora: Ein Resultat kann die Vereinbarung sein, den Dialog zu einer kontinierlichen Einrichtung zu machen. Ich glaube, heute gibt es mehr Druck darauf, daß die Gespräche den Charakter ernsthafter Verhandlungen annehmen. Die USA haben seit der FMLN-Offensive ihre Position geändert. Durch die direkte Beteiligung der Vereinten Nationen wäre ein rein taktisches Spiel für jeden der Beteiligten sehr gefährlich. Es macht schon einen Unterschied, ob die UNO nur als Zeugen dabei sind oder als Vermittler. Jetzt haben sie viel mehr Gewicht, um auf Ergebnisse zu dringen.

Ist es möglich, daß Wahlen nach dem nicaraguanischen Vorbild - mit allen Freiheiten, Garantien für Parteien und internationaler Beobachtung - ausgehandelt werden?

Freie Wahlen müssen zweifellos Teil eines Übereinkommens sein. Doch wir dürfen nicht vergessen, daß in Nicaragua die Voraussetzung dafür die Verhandlungen von Sapoa waren. Sapoa brachte einen Waffenstillstand und das Ende der Contra als kriegführende Kraft. Das zentrale Problem ist die Umwandlung der FMLN in eine politische Partei und die Armeereform als simultane Prozesse. Wenn die FMLN nicht zur politischen Partei wird, also die Waffen niederlegt, kann die Armee nicht reformiert werden. Das sieht man doch heute: Der mutmaßliche Mörder der Jesuiten (sie wurden zusammen mit zwei Frauen Mitte November 1989 von Armeeangehörigen erschossen, d. Red.), Oberst Benavides, befindet sich nicht im Gefängnis, sondern in einem Strandhotel der Streitkräfte. Und umgekehrt: Solange die Armee über dem Gesetz steht, kann die FMLN die Waffen nicht niederlegen, weil sonst alle umgebracht werden.

Ist es in diesem Land überhaupt vorstellbar, daß Guerilleros zu Politikern werden, ohne Gefahr zu laufen, erschossen zu werden?

Wenn es eine Heeresreform gibt, kann man diese Kräfte unter Kontrolle bringen. Die extreme Rechte kann außerhalb der Armee oder gar gegen die Armee nicht langfristig operieren. Ursprünglich sind Todesschwadronen in El Salvador von Großgrundbesitzern bezahlte Gruppen gewesen, aber verortet sind sie innerhalb der Sicherheitskräfte und der Armee, oder sie unterhalten Verbindungen zu ihnen. Wer einen Mord verüben will, muß zwei Bedingungen erfüllen: Er muß töten können und sich nicht erwischen lassen. Die Todesschwadrone erfüllen nur die erste Bedingung. Denn sie gehen davon aus, daß sie nicht verfolgt werden, weil sie den Schutz der Armee genießen. Terroristische Akte sind ein anderes Kapitel. Die werden weiter möglich sein.

Es wird momentan über eine breite Oppositionsallianz spekuliert, die bei den nächsten Wahlen die politische Unterstützung der FMLN erhalten könnte.

Alles, was die Wahlen betrifft, ist von den Verhandlungen abhängig. Wir glauben, daß für erfolgreiche Verhandlungen eine breite Konzertierung der Oppositionskräfte notwendig ist. Wir haben keine Angst vor Wahlallianzen.

Keine Berührungsängste mehr mit der Christdemokratie?

In dem Maße, wie die DC wirklich Opposition macht und für Verhandlungen und Konzertierung der demokratischen Kräfte arbeitet, muß man sie nicht fürchten. Eine der politischen Grundregeln in El Salvador heißt: Wer allein bleibt, verliert. Die Krise unseres Landes ist so tief, daß eine politische Kraft allein keinen Ausweg weisen kann. Daher muß man jetzt - ob wir wollen oder nicht - Koalitionen suchen.

Wird die Convergencia an den Parlaments- und Gemeindewahlen 1991 teilnehmen?

Unter den gegebenen Bedingungen nicht. Nach der Novemberoffensive sind die politischen Freiräume geschrumpft, und die Bevölkerung ist in hohem Maße eingeschüchtert. Bei den nächsten Wahlen geht es um Abgeordnete und Bürgermeister. Traditionell wählen die Leute auf dem Land auf dem Wahlschein für das Parlament die Partei, der auch der von ihnen gewählte Bürgermeister angehört. Wenn man also ein halbwegs akzeptables Ergebnis im Parlament erzielen will, muß man in den Gemeinderäten präsent sein. Bei der massiven Angst unter der Bevölkerung ist das fast unmöglich. Wer würde heute eine Kandidatur für die Convergencia akzeptieren? Daher ist es für uns von entscheidender Bedeutung, daß die politischen Freiräume wieder geöffnet werden. Und wenn es keine Verhandlungen gibt, sehen wir nicht, wie das passieren soll.

Welche Konsequenzen hatte die Novemberoffensive der FMLN?

Die Offensive war wahrscheinlich das folgenschwerste Ereignis des letzten Jahres. Für die Streitkräfte ist die wichtigste Lehre, daß sie auf ihre eigene Propaganda hereingefallen waren und die militärische Kraft der FMLN enorm unterschätzt hatten.

Für die USA gibt es eine doppelte Lektion: Erstens hat sich gezeigt, daß die Armee nach zehn Jahren und zwei Milliarden Waffenhilfe das wichtigste Prinzip der US-Militärstrategie, des Konflikts niedriger Intensität, nicht begriffen hat: die Offensive zu ergreifen. Die Armee war die ganze Zeit in der Defensive. Zweitens: Die These der USA, daß die Armee die Menschenrechte beachtet, hat sich als völlig verfehlt erwiesen. Bei der ersten Gelegenheit bringt sie sechs Priester um, bombardiert Wohnviertel und so fort.

Auch für die Regierung Cristiani gibt es eine doppelte Lehre: Es hat sich gezeigt, wie schlecht es gegenwärtig um die Macht der Zivilisten innerhalb der Regierung gegenüber den Militärs bestellt ist. Während der ersten Woche war Cristiani praktisch verschwunden. Zweitens: Das geplante Wirtschaftsmodell ist unter Kriegsbedingungen nicht durchführbar. Denn der Krieg zerstört die wichtigste Voraussetzung für neoliberale Wirtschaftspolitik: Vertrauen der Privatunternehmer für Investitionen. Die Guerilleros kontrollierten nicht nur die Landgüter und Fabriken, sondern drangen plötzlich auch in die Villen in der Hauptstadt ein.

Für die FMLN lautet die Lehre: Es gibt keine Bereitschaft zum Volksaufstand bei den Massen. Die These, daß die Bereitschaft dazu sich nur wegen der Repression nicht zeigen konnte, mit militärischer Rückendeckung aber zum Tragen käme, hat sich als falsch erwiesen. Es gibt Leute, die mit der FMLN kollaboriert haben, und andere, die sich ihr anschlossen, aber die Masse der Bevölkerung hielt sich heraus.

Für uns, die politische Opposition, ist die Lektion, daß die politischen Freiräume, unter denen wir arbeiten, absolut unsicher sind. Wir mußten praktisch untertauchen. Viele unserer Büros wurden von Armeetruppen überfallen und zerstört.

Insgesamt hat diese Offensive die ganze Gesellschaft in Bewegung gebracht. Die politischen Parteien wissen nicht, wo sie hin sollen. Im Prinzip ist weder die Regierung noch die FMLN oder die Opposition Nutznießerin dieser Entwicklung. Derjenige, der als erster einen Ausweg weisen kann, wird profitieren.

Interview: Ralf Leonhard, San Salvado