Atomraketen gegen Lech Walesa

Die Bundeswehr übt trotz der Umwälzungen in Osteuropa mit atomaren Mittelstreckenraketen, die nicht nur gegen die DDR, sondern auch gegen Polen und die Tschechoslowakei gerichtet sind / Grüne: „Erstklassiger Skandal“ / Bundeswehr: Einsatzbereitschaft erhalten  ■  Aus Bonn Gerd Nowakowski

Die Grünen haben es als „erstklassigen Skandal“ bezeichnet, daß die Bundeswehr weiterhin Übungen mit atomaren Mittelstreckenraketen durchführt, die nicht nur die DDR, sondern auch die Tschechoslowakei und Polen erreichen könnten. Nach gestern der Presse in Bonn vorgelegten Unterlagen werde seit dem gestrigen Dienstag von der ersten Flugkörperstaffel FKZ 2 der Bundeswehr in Geilenkirchen ein „atomarer Vergeltungsschlag“ geübt. Das Manöver, das bis Donnerstag laufen soll, wird gemeinsam mit US-Einheiten durchgeführt, die die Atomsprengköpfe für die bundesdeutschen Pershing 1a Raketen anliefern und scharfmachen. Die Bundeswehr hat die Übung bestätigt. Allerdings sollen keine realen Zieldaten eingegeben, sondern nur das Aufstellen der Raketen geübt werden. „Nach dem Countdown ist Schluß“, hieß es zur Beruhigung. Auf die Frage, warum das Manöver mit der „Feindlage Osten“ trotz der osteuropäischen Umwälzungen und der nach dem INF -Abrüstungsvertrag bis zum Mai nächsten Jahres zur Verschrottung anstehenden Pershings 1a überhaupt durchgeführt werde, hat die Bundeswehr eine schlichte Antwort: Man müsse für die Soldaten „eine gewisse Einsatzbereitschaft erhalten“, sagte ein Sprecher und fügte hinzu, ansonsten sei der Sinn ihres Tuns in Frage gestellt.„Sind die Regierungen eines Lech Walesa, eines Vaclav Havel etwa Feinde?“, fragte das Grüne Bundesvorstandsmitglied Jürgen Maier. Die Bundestagsabgeordnete Angelika Beer kündigte eine parlamentarische Initiative an, um solche Manöver zu stoppen.

Erst am vergangenen Wochenende hatte der Parteitag der Grünen eine Kampagne zur Entmilitarisierung beider deutschen Staaten beschlossen. Nach Aussage der Abgeordneten Beer stellt das Manöver eine „Gefährdung der Entspannung“ dar. Die Übung sei eine „weitere Provokation“ Polens nach der Weigerung des Bundeskanzlers, die polnische Westgrenze anzuerkennen. Sie befürchtet, mit dem Manöver würden „politische Erpressungskapazitäten“ gegen Polen geschaffen. Vorstandsmitglied Maier erinnerte an die Bemühungen von Unions-Politikern am Entstehen einer europäischen Militärorganisation, innerhalb deren auch die Bundesrepublik über eigene Atomwaffen verfügen soll. Die Bundesrepublik versuche trotz aller Beteuerung gutnachbarschaftlicher Beziehungen die Rolle einer Großmacht zu spielen.

Für die Grünen beweist die anonyme Zusendung der Manöverunterlagen auch, daß viele Bundeswehrmitglieder „absolut unzufrieden sind“, daß die militärische Führung trotz der Veränderung in Osteuropa weitermache wie bisher.