: „Laßt uns auf dem Tiananmen spazierengehen“
In diesem im Vorfeld des Trauertages Quingming in der chinesischen Hauptstadt Peking aufgetauchten Flugblatt wird zur friedlichen Machtdemonstration aufgerufen ■ D O K U M E N T A T I O N
Um die Vergangenheit nicht zu vergessen, um eine Zukunft zu entwerfen und aufzubauen, wollen wir uns vom 1. bis 5. April dieses Jahres wieder auf dem Tiananmen versammeln. Angefangen mit der Regierungsbildung von Solidarnosc in Polen bis zur großen Kettenreaktion der Umbrüche in Ungarn, der DDR, der Tschechoslowakei, Bulgarien und Rumänien bis zum Verzicht der KPdSU auf das Machtmonopol der Partei: eine grundlegende Veränderung des kommunistischen totalitären Machtsystems ist nicht nur denkbar, sondern unumgänglich.
Das ist die Tendenz, selbst ein Blinder würde das erkennen. Dies ist die große Strömung, selbst die Götter können es nicht verhindern.
In China ist der kalte Winter gewichen. Der Frühling entfaltet seine Kräfte. Eine historische Veränderung liegt in der Luft und ist im Kommen. Nun ist es an uns, den ersten Schritt zu machen. Wir rufen alle patriotischen Landsleute auf, die nach Freiheit und Demokratie streben: Laßt uns auf dem Tiananmen zusammenkommen.
Wir wollen nicht auf dem Tiananmen demonstrieren, wir wollen dort nur spazierengehen und uns umschauen. Dazu brauchen wir keine Genehmigung, und das kann uns auch keiner verbieten. Wir können allein hingehen oder auch zu dritt oder zu fünft, aber nicht in großen Gruppen. Wir wollen auch keine Plakate tragen, sondern nur umherspazieren. Wir können uns unterhalten, können schweigen, können fröhlich oder traurig sein.
Wir können uns auch besinnen. Wir brauchen uns nur einmal anzulächeln, dann werden wir uns verstehen. Wir brauchen nur zwei Finger zu zeigen, schon sind unsere Herzen verbunden. Wir werden uns über einfache Dinge unterhalten, aber tiefe Gedanken in uns tragen. Aber wenn Tausende auf dem Platz stehen, wird die ganze Welt auf sie schauen. Alle Menschen, die diese ruhige Masse auf dem Platz sehen, werden die Bedeutung verstehen.
Diejenigen, die Angst vor dem Volk haben und Aktionen befürchten, ähnlich denen im Frühling des vergangenen Jahres, werden mit Drohungen reagieren, behaupten, es handele sich um eine organisierte Aktion. Ignoriert es, Ihr braucht Euch nicht zu erklären. Wir wollen nur ruhig spazierengehen. Wir werden ganz normal unserer Wege gehen. Gegen das Einvernehmen von Tausenden ist man machtlos.
Um diesen Schritt erfolgreich tun zu können, müssen wir erstens jede Möglichkeit nutzen, diese Informationen denjenigen mitzuteilen, die sich an der Aktion beteiligen können. Zweitens sollen sich alle Beteiligten disziplinieren, um zu verhindern, daß diese friedliche Machtdemonstration nicht zum offenen Protest wird. Behaltet dies im Auge, wenn wir einen ersten festen Schritt machen, dem noch weitere folgen werden. Durch diese aufeinanderfolgenden Aktionen werden wir Abertausende zusammenbringen und in einer flexiblen Taktik einen. Wenn wir das erreichen, haben wir keine Feinde unter dem Himmel.
Der Tiananmen ist die heilige Stätte der Demokratiebewegung, der Platz ist Zeuge großer historischer Ereignisse.
Freunde, laßt uns spazierengehen - auf den Tiananmen!
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