piwik no script img

Das heimliche S Sehnen

■ Modepüppchen wollen wir nicht sein, aber die Lust an schöner und modischer Kleidung verlangt doch immer wieder ihr Recht.

Von

JOHANNA BEHREND

ls Gabi eines Abends leicht verlegen, aber mit unverkennbarem Leuchten in den Augen ankündigte, sie habe sich ein neues Kleidungsstück gekauft, stieg die Spannung in der Wohngemeinschaft aufs heftigste. Waren es nun die seit langem ersehnten demofesten Profilsohlenschuhe in modischem Beige oder endlich ein wetterfester, extrem zusammenfaltbarer Anorak, für jede Fahrradtour geeignet? Was Gabi dann jedoch aus der teuer gestylten Plastiktüte zog, ließ das Weltbild der Anwesenden zusammenbrechen: Es war ein pink-schwarz gestreifter, aus seidigem Stoff gesmokter, knallenger Minirock, so kurz, daß er gerade mal den Hintern bedeckte.

Das uns. Uns emanzipierten Frauen, die es nie und nimmer nötig haben, uns irgendwelchen obskuren Modediktaten zu unterwerfen, uns durch Schminke oder aufreizende Kleidung zu Weibchen deformieren zu lassen. Mode, das war immer das Artifizielle, das, was die Natur uns nicht mitgegeben hat, das, was unsere natürlichen Werte versteckte. Und es war immer die Anpassung an die Masse, an den Zeitgeschmack, was wir Individualistinnen selbstverständlich verweigerten.

Natürlich war es etwas anderes, als wir in den sechziger Jahren in afghanischen Folklorekleidern und in den Siebzigern in lila Latzhosen herumliefen. Das war Protest, keine Mode! Auch wenn Hunderttausende jeweils genauso gewandet waren. Auch in der punkigen Phase der Achtziger drückten wir nur unseren Widerwillen gegen die bürgerliche Gesellschaft aus: Netzstrümpfe unter dem schwarzen Ledermini hatten beileibe nichts Erotisches, auch wenn Manfred von gegenüber... Aber lassen wir das.

odepüppchen war immer ein Schimpfwort für die „anderen“ Frauen, die mit rosafarben oder tomatenrot angemalten Lippen, taubenblauen oder smaragdgrünen Augenlidern und ins neueste Design gehüllt durch die Straßen stöckelten, die immer zu jeder Gelegenheit „passend“ gekleidet waren, zusätzlich geschmückt durch glitzernde oder dezente Accessoires. Wir strafen solche Frauen mit Verachtung. „Die Überführung des vergänglichen menschlichen Leibes mit den Mitteln seiner optischen Verkünstlichung in die Welt des Stofflichen, 'Anorganischen‘, hat etwas Unheimliches“, schreibt Silvia Bovenschen in ihrer Textsammlung Die Listen der Mode. Das Modepüppchen ist der Spiegel für unsere Angst vor Wandlungsfähigkeit, für das Verlassen von vertrautem Terrain und gleichzeitig - das erscheint paradox

-vor dem Festgelegtsein auf einen Typ. Das Modepüppchen ist uns unheimlich.

Dabei könnte (und kann) das modische Outfit genau das bedeuten: Daß wir wandlungsfähig sind, daß unsere Persönlichkeit viele Seiten hat, die je nach aktueller Priorität ausgedrückt sein wollen, und daß wir dennoch immer die gleiche sind, ein unverwechselbares Individuum. „Die Anhäufung oftmals gegensätzlicher psychologischer Detailmerkmale ist für die Mode nur eine Weise, die menschliche Person so zu modellieren, daß sie ein doppeltes Postulat erfüllt: nämlich Individualität und Vielheit zugleich zu verkörpern, je nachdem, ob man die Ansammlung von Charakterzügen als Synthese betrachtet oder dem Individuum die Freiheit zugesteht, sich hinter der einen oder anderen dieser Einheiten zu verbergen. Ein doppelter Traum also, den die Rhetorik der Mode der Frau zugänglich werden läßt: „Der Traum von Identität und vom Spiel“, so der französische Semiotiker Roland Barthes.

Sich modisch zu kleiden, ist sehr befreiend (man vergesse nicht, daß die Modezarin Coco Chanel das Korsett per modischem Diktat abgeschafft hat). Nicht nur, daß man sich dem Imperativ der Nichtmodischen entzieht, sondern auch, indem man sich seine ganz individuellen Ausdrucksmöglichkeiten sucht, sich selber immer wieder ausprobiert. Natürlich müssen wir nicht in Gaultiers Kreation mit dem nackten Rücken (vom Hals bis zur Ferse) schlüpfen oder Montanas Capes mit nonnenflügelhohem Kragen um die Schulter schwingen - mal abgesehen davon, daß wir uns das wohl kaum leisten könnten. Und wenn eine Modezeitschrift Orange zur Farbe der Sommersaison 1990 erklärt, ist das kein Muß. Schließlich propagiert eine andere Zeitschrift Lachsrosa und Mintgrün zum Renner. Aber wir können derartige „Empfehlungen“ als Anreize nehmen, um uns unserer Stimmung entsprechend zu umhüllen - oder unsere Vorliebe für Quittengelb oder Mausgrau entdecken.

Gabis pink-schwarzer Minirock indessen führte nicht nur zu neidvollen Blicken und abgewandelten Nachahmungskäufen, sondern auch zu der Hoffnung, daß sie bitte, bitte nicht ihre Birkenstock-Sandalen dazu anziehe. Aber immerhin hat sie sich zwischenzeitlich einen teuren Friseurbesuch geleistet sowie ein exklusives Parfum gekauft - „Coco“, von Chanel.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen