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EG will Griechen an die Kandare nehmen

Dem hochverschuldeten Mittelmeerland versuchen Europäische Kommission und Internationaler Währungsfonds eine Strukturanpassung a la Dritte Welt aufzudrücken  ■  Aus Brüssel Michael Bullard

„Unzulässige Wahlkampfeinmischung der EG-Kommission auf seiten der Nea Dimokratia (ND)“, schimpften die Pasok -hörigen Zeitungen in Griechenland Ende März. Grund des Protestes: ein Brief von EG-Kommissionspräsident Jacques Delors an den griechischen Ministerpräsidenten Xenophon Zolotas. Darin verwarnte der EG-Chef kurz vor den griechischen Parlamentswahlen die Mitgliedsregierung: Griechenland werde nicht in der Lage sein, mit der Entwicklung der EG Schritt zu halten, wenn nicht bald das exorbitante Haushaltsdefizit verringert würde. Statt jedoch die öffentlichen Ausgaben drastisch zu kürzen, vertraue die griechische Regierung auf Überweisungen aus Brüssel. Die jedoch, so Delors‘ versteckte Warnung, könnten in Zukunft von Bedingungen abhängig gemacht werden.

Da der griechische Staat kurz vor dem finanziellen Bankrott steht, wird vermutet, daß die nächste griechische Regierung nach den Wahlen eine zweite EG-Anleihe (erster Kredit 1985: drei Milliarden Mark) beantragen wird. Langfristig wichtiger sind jedoch die Überweisungen aus den EG-Struktur- und Sozialfonds, die 1989 zusammen über fünf Milliarden Mark ausmachten. Trotzdem mußte der griechische Staat wegen drohender Zahlungsunfähigkeit vor kurzem auf dem Euromarkt eine Milliarde Mark Kredit aufnehmen, um den Staatsbediensteten ihre Ostergehälter bezahlen zu können. Wie es zu der Krise gekommen ist? Der ehemalige griechische Wirtschaftsminister Georgios Souflias macht dafür die Pasok -Tradition verantwortlich, politische Unterstützung für die Partei mit Jobs im öffentlichen Sektor zu honorieren. Das habe dazu geführt, daß jetzt 72 Prozent des in den letzten Jahren enorm ausgeweiteten griechischen Staatshaushalts für Gehälter, Sozialabgaben und den Schuldendienst draufgehen. Die öffentlichen Schulden betrugen 1989 80 Prozent des Bruttoinlandprodukts, der EG-Durchschnitt lag bei 56 Prozent. Das Zahlungsbilanzdefizit Griechenlands wird nach Schätzungen Ende des Jahres nahezu acht Milliarden Mark betragen. 1989 waren es noch fünf Milliarden Mark. Das Außenhandelsdefizit stieg 1989 um 19,1 Prozent an.

Zusammen mit dem IWF will die Kommission deshalb Auflagen ausarbeiten. Ihr Ziel ist es, nicht nur die öffentlichen Ausgaben zurückzuschneiden, was zwangsläufig zu Massenentlassungen führen würde. Auch die äußerst populäre Schattenwirtschaft soll steuerlich angezapft werden. Außerdem will man die indirekten Steuern erhöhen. Noch ist allerdings nach den römischen Gründungsverträgen unklar, welche Machtbefugnisse die EG eigentlich gegenüber einem Mitgliedsland hat. Die finanzielle und politische Notlage Griechenlands könnte jedoch dazu führen, daß die EG -Kommission die künftige griechische Regierung unter Druck setzen kann. Zumal sich nicht nur die Zahlungsbilanz wegen rückläufiger Einnahmen aus dem Tourismus drastisch verschlechtert hat, sondern auch 1991 Rückzahlungen der Schulden fällig werden.

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