: Vargas Llosa ante portas
■ Peru wählt morgen seinen Präsidenten / Alan Garcia hat abgewirtschaftet, jetzt kommt der Schriftsteller
Vor fünf Jahren hieß der strahlende Sieger Alan Garcia. Der lateinamerikanische Lieblingsenkel von Willy Brandt wurde schnell für viele zum Inbegriff des Kampfes gegen Verschuldung und Internationalen Währungsfonds. Heute ist Perus Wirtschaft am Ende, Garcias Partei „Apra“ hat keine Chance, die Wahlen vom Sonntag für sich zu entscheiden. Spätestens im zweiten Wahlgang, so sieht es aus, wird sich der Schriftsteller Mario Vargas Llosa mit seiner Rechtskoalition „Demokratische Front“ (Fredemo) durchsetzen.
Ganz im Trend der Zeit und des Kontinents kommen auch in Peru die radikalsten Weltverbesserer heutzutage nicht mehr von links. „El gran cambio“, die große Wende vom ersten Tag an, versprechen für die Präsidentschaftswahlen vom 8.April Mario Vargas Llosa und seine Bewegung „Libertad“, neoliberale Zugpferde in dem Bündnis der alten Rechtsparteien „Frente Democratico“ (Fredemo). Und es gibt wohl kaum einen der rund zehn Millionen Wahlberechtigten des Andenlandes, der ihnen nicht zustimmen würde in dem Wunsch, daß übermorgen alles anders wird.
Peru ist ein Land, das zerfällt. Wo früher andine bäuerliche Kulturen, wenn auch unter widrigen klimatischen Bedingungen überlebten, sind heute ganze Landstriche leergefegt, ihre Bewohner ermordet oder geflohen vor marodierenden Militärs und Guerillatruppen des sogenannten „Leuchtenden Pfades“ (Sendero Luminoso). Schulen und Rathäuser in diesen Zonen sind zerstört, der Staat praktisch inexistent. Ausgedehnte Gebiete des Amazonastieflandes wurden von den „Narcos“, den Produzenten der Kokainpaste, kontrolliert. Wegelagerer jedweder Couleur machen die Landstraßen unsicher; Bombenanschläge, Stromausfälle und Wassermangel plagen die täglich wachsende städtische Bevölkerung. Seit Anfang des Jahres haben sich die Preise mehr als verdoppelt, von der Müllabfuhr bis zu den Schließern im Knast, von den Krankenschwestern bis zu den Flugpiloten versuchen die Angestellten des öffentlichen Dienstes mit wochenlangen Streiks, den Kaufkraftverlust durch Gehaltserhöhungen auszugleichen. Und in den Slums von Lima und Callao wächst der Hunger.
Das ist die Bilanz des sozialdemokratischen Präsidenten Alan Garcia und seiner schillernden Apra-Partei, die 1985 mit antiimperialistischen Parolen antraten, große Erwartungen weckten und an ihrer eigenen Mittelmäßigkeit und Korruption scheiterten wie kaum eine Regierung zuvor. Dementsprechend gibt sich der Apra-Kandidat im gegenwärtigen Wahlkampf, Luis Alva Castro, auch sehr zurückhaltend. Keine Massenversammlungen, das Regierungsprogramm ist Geheimsache. Optische Distanz zum Präsidenten wird gewahrt und im stillen die Stammwählerschaft in den Gewerkschaften an der Küste im Norden des Landes gepflegt. Hier und da werden noch schnell ein paar Traktoren verschenkt, einige Gelegenheitsjobs vergeben, und so könnte es der Apra vielleicht für den zweiten Platz reichen.
Auf ihn spekuliert auch die Linke, der noch 1988 im Zuge des sich verschärfenden Wirtschaftsdesasters große Chancen auf einen Sieg eingeräumt worden waren. Nach der dramatischen Spaltung des ehemals breiten Bündnisses „Izquierda Unida“ (Vereinigte Linke) Mitte 1989 treten sie nun mit zwei Kandidaten an: Henry Pease für die „traditionelle“ Linke aus KP, Unabhängigen und maoistischen Avantgardeparteien, Alfonso Barrantes für den sich neu formierenden sozialdemokratisch-sozialistischen Block. Beiden werden je nach Standort des Beobachters je sieben bis 15 Prozent der Stimmen vorausgesagt, eine Zusammenarbeit ist nicht in Sicht.
Einfache Rezepte
Zur selben Zeit, als die Linken untereinander um die „Hegemonie“ kämpften, beschlossen die Rechten und Liberalen Perus, ihre Fehden zu vertagen und gründeten die bis heute bestehende Fredemo, ein deutlich als solches gekennzeichnetes Zweckbündnis, das sich unter der Führung von Vargas Llosa auf wenige Themen und einfache Rezepte beschränkt hat.
Friede, Freiheit, Chancengleichheit sind die zentralen Parolen, die von den jungen Superliberalen der 1987 aus dem Protest gegen die Bankenverstaatlichung Garcias hervorgegangenen Gruppe „Libertad“ (Freiheit) stets von neuem propagiert werden. Das Fehlen dieser Qualitäten im peruanischen Alltag wird den unheilvollen Interventionen des Staates zugeschrieben.
Da sind die trägen Beamtenheere, die jeden Kontakt mit der Obrigkeit zur quälenden und kostspieligen Odyssee werden lassen, die Ineffizienz und Korruption der Staatsunternehmen, die die absurdesten Wirtschaftszweige an sich reißen und dann nichts damit anzufangen wissen, die Günstlingswirtschaft der Apra, das ständige Angewiesensein der Unternehmen auf Zuschüsse statt internationaler Wettbewerbsfähigkeit.
Soweit Applaus von (fast) allen Seiten und bis vor kurzem immer optimistischere Prognosen für Vargas Llosa: Die absolute Mehrheit im ersten Wahlgang sagten ihm zu Beginn des Jahres die Meinungsforschungsinstitute voraus. Ein international anerkannter Mann, der Kredite beschaffen kann und dessen Berater selber genug Geld besitzen, um sich nicht wie diese Empörkömmlinge von der Apra an jeder Straßenecke zu bereichern - so Volkes Logik.
Doch wer A sagt, muß auch B sagen, und bei den Rezepten scheiden sich in der entscheidenden Schlußphase des Wahlkampfes zunehmend die Geister. Vargas Llosa und die seinen haben den Begriff der neoliberalen „Schockpolitik“ in den peruanischen Wortschatz eingebracht und nun, da die ersten „Ergebnisse“ der antiinflationären Maßnahmen in Argentinien und Brasilien durch die Schlagzeilen in Lima gehen, werden sie die so eingängige Vokabel nicht mehr los.
Eilig wird ein Sozialprogramm für die Ärmsten nachgeschoben, das fast wörtlich dem der Linken gleicht. Erste Risse im Bündnis der Altparteien mit den jungen Liberalen werden sichtbar. Die Handelskammern sind plötzlich gar nicht mehr für die Kürzung der kostspieligen Exportförderung, und in denen, die da sprechen, erkennt man zu einem Gutteil die alten Kameraden, die bei der Apra abgesahnt haben.
Der Kaiser ist nackt, das Volk desillusioniert. Erinnerungen an bekannte Namen aus vergangenen Regierungen kommen hoch, und plötzlich beginnt der Run auf die „Unabhängigen“: jene fünf, bislang eher als folkloristisch betrachteten Präsidentschaftskandidaten, die außer den genannten vier noch ernsthaften zur Wahl stehen. Absurd oder nicht: Innerhalb eines Monats ist z.B. die Anhängerschaft Alberto Fujimoris rapide gewachsen. Man vermutet, der bislang völlig unbekannte Agraringenieur und Nachfahre japanischer Einwanderer wird bis zu zehn Prozent „Panikwähler“ anziehen, die sich zunehmend von allem abwenden, was irgendwie „peruanisch“ riecht. Sollte es so kommen, wird Vargas Llosa nicht mehr an die absolute Mehrheit herankommen. An seinem Sieg im zweiten Wahlgang zweifelt allerdings niemand.
Nina Boschmann, Lima
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen