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Großrazzia gegen Kölner Roma

Kinderhandel und organisierte Einbrüche geben der Polizei den Anlaß für die Aktion / 34 Festnahmen  ■  Aus Köln Bettina Markmeyer

Entsetzt und empört reagierten gestern Kölner Roma und ihre UnterstützerInnen auf den Großeinsatz der Polizei am Donnerstag. 1.200 Beamte hatten in einer siebenstündigen Aktion Wohnwagen und Wohnungen aller Roma auf dem Kölner Schiffhof nach Geld und Wertsachen durchsucht, um, so die Kölner Staatsanwaltschaft, Beweise gegen organisierten Kinderhandel und Serieneinbrüche sicherzustellen. Klaus Riekenbrauk, Anwalt und Pate einer der Roma-Familien, sprach von einer „riesigen Einschüchterungskampagne“ und genereller „Stigmatisierung aller Roma, die auf dem Schiffhof leben“. „Zwei Jahre Arbeit sind kaputt“, befürchteten VerteterInnen des Kölner Rom-Vereins.

Nach eigenen Angaben hat die Kölner Staatsanwaltschaft Beweise für einen organisierten Handel mit jugoslawischen Roma-Kindern. Die Kinder, für Ablösesummen bis zu 20.000 Mark von ihren Familien verkauft, seien in der Bundesrepublik mit Gewalt zu Einbrüchen und Diebstählen gezwungen worden. Organisiert hätten die Verbrechen drei verschiedene Gruppen, deren angebliche Chefs am Donnerstag in Köln, Nürnberg und Hamburg verhaftet worden sind. Zentrum der Kinderhandel- und Einbruchbanden, so die Staatsanwaltschaft, sei Köln. Jahrelange Ermittlungen, verdeckte Observationen und Telefonüberwachungen sowie Erkenntnisse, die eine Sonderkommission der Kölner Kripo während des letzten Jahres gewonnen hatte, bildeten den Hintergrund für die Großrazzia am Donnerstag. Die Ermittlungen hätten Strukturen erkennen lassen, nach denen die Einbrüche systematisch koordiniert und die Kinder gewaltsam abhängig gehalten worden seien.

1.200 Beamte rückten am Donnerstag morgen um 6.30 Uhr an, umstellten den Schiffhof, auf dem über 150 Roma leben, und überraschten die Familien im Schlaf. Die Aktion war seit Wochen geheim vorbereitet worden. Zeitgleich durchsuchte die Kölner Polizei auch ein Heim für AsylbewerberInnen und vier Wohnungen. Auch in Bochum, Nürnberg und Hamburg gab es Durchsuchungen und Festnahmen.

Sieben Stunden durchsuchte die Polizei alle Wohnwagen, Fahrzeuge und Baracken auf dem Platz. Jeder einzelne Wohnwagen wurde umstellt. „Halbnackt“, so berichteten AugenzeugInnen später, seien sie aus ihren Wohnungen herausgetrieben worden. Während der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Johannes Wilhelm, betont, daß „niemandem Schmuck vom Leibe genommen wurde“, berichteten mehrere Frauen das Gegenteil, darunter auch die Mandantinnen zwei Kölner Anwälte, die derzeit im Gefängnis sitzen. Auch nach Aussage des Kölner Rom-Vereins mußten erwachsene Roma ihren gesamten Schmuck abgeben. Die Schiffhof-BewohnerInnen leisteten der Polizei keinen Widerstand. Durchsucht wurde auch das Haus einer Wohngemeinschaft Fortsetzung auf Seite 2

auf dem Platz. Während der Aktion ließ die Polizei Anwälte, UnterstützerInnen und einen Pfarrer, die gegen den Einsatz protestierten, nicht

auf den Platz - anders als bei früheren Razzien. Gestern erschien die Polizei erneut am Schiffhof und umstellte den gegenüberliegenden Wald, offensichtlich, um nach weiteren Geldverstecken zu suchen.

Geld, so Wilhelm, sei ausschließlich aus Verstecken und Erddepots beschlagnahmt worden. Roma-VertreterInnen bezeugen demgegenüber, daß sogar ihre soeben für den April abgeholte Sozialhilfe von der Polizei mitgenommen wurde.

Beschlagnahmt worden sind insgesamt etwa 200.000 DM, Schmuck von noch nicht bekanntem Wert und neun Pistolen. Die Kölner Polizei nahm 34 Menschen fest, darunter 14, denen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen wird. Alle waren gestern noch in Haft. Acht Kinder, die dem Jugendamt übergeben worden waren, hätten inzwischen das Kinderheim verlassen und seien „versorgt“, teilte das Jugendamt mit.

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