: Empfängnishilfe
„Home on the Range“ von den Space Cowboys und die erste Herbst in Peking-Single ■ B E R L I N E R P L A T T E N T I P S
Man hat ja so seine Vorurteile, wenn es um bestimmte Bands geht, und die Space Cowboys waren für mich immer eine der langweiligsten und überflüssigsten Kapellen dieser Stadt. Letztes Jahr haben sie es nun endlich geschafft, den Senatsrockwettbewerb zu gewinnen. Damit hätte man das Thema zu den Akten legen können. Bereit, meine Vorurteile bei günstiger Gelegenheit wieder zu revidieren, dauerte mein Schwanken genau drei Minuten und 26 Sekunden.
Der Song hieß Pygmy Shocker und überraschte mich mit einem knallharten, messerscharfen Gitarren-Riff, einem guten Dancefloor-Groove und einer Melodie. Blieb leider die einzige Melodie, die man guten Gewissens so nennen konnte. Danach taten die Space Cowboys auf ihrer neuen LP Home on the Range (Vielklang), was ich von ihnen erwartet hatte. Sie blubberten belanglos, wie eine Band (oder sagt man hier besser „Projekt“?), die ohne Songs ins Studio geht, dafür mit einem Rucksack voller Geräuschfetzen und jeder Menge sloganähnlicher Zeilen und der vagen Idee, das auf zwei Plattenseiten irgendwie unter einen Hut zu bringen. Im Studio fanden sie dann 24 Spuren, und wenn man die schon mal hat, dann muß man sie auch voll machen, dachten sich wohl die Herren Bretschneider, Seum und Busche. Das taten sie dann auch weidlich und zumindest die Tonqualität ist hervorragend gelungen, was aber schon der einzige Lichtblick ist, neben Pygmy Shocker und den beiden Coverversionen. Crazy Horses von den Osmonds und vor allem Don McLeans American Pie (mit einem herrlich hingenuschelten „This will be the day when I die“) werden zu cool hingerotzten, stählernen Tanzknallern. Diese Coolness und Ironie fehlt bei ihren eigenen Stücken leider völlig. Stattdessen verbohrtes Suchen nach Anspruch und verzweifelte Suche nach analytischer Tiefe: „War - fascination / Love - intoxication / Language - information / Music - my generation.“ Aha.
Lassen wir - zumindest für heute - die Westberliner Szene sich weiter im Kreis drehen und wenden uns unseren Geschwistern im Osten zu. Aber auch die Brüder von Herbst in Peking tun sich analytisch nicht gerade hervor. „Schwarz-Rot -Gold ist das System / Morgen wird es untergeh'n“. Bakschischrepublik heißt der Song, Slime hätten auch nicht schöner dichten können, aber die waren wenigstens schneller und früher dran. Die erste Herbst in Peking-Single heißt To be HiP (Peking Records, Twang-Tone), ist von 1990, musikalisch von vor zehn Jahren, allerdings fehlt das für DDR-Combos obligate Saxophon auch nicht.
Die Ostler können jetzt auch endlich in den Texten die Sau rauslassen und tun, was sie nicht lassen können. Die Rückseite heißt Immortality und ist „In memoriam Nicolae Ceausescu“ aufgenommen. In Anlehnung an Sympathy for the Devil von den Stones wird gar bedeutungsschwer gereimt: „Nicolae Ceausescu is my name / The world of power is my game“. Herbst in Peking sind zwar wie gesagt etwas spät dran, aber sie hatten ja auch nur ein paar Monate Zeit, um mehrere Jahrzehnte aufzuholen, und immerhin haben sie es schon über die Stones und Dumpf-Punkrock bis zum zweisprachigen Konzept der Neuen Deutschen Welle gebracht. Sympathie für Herbst in Peking!
Thomas Winkler
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