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Das Linkssein rechts vom Schrägstrich

Redaktionelle Geheimnisse und das Wesen der Kolumne  ■  P R E S S - S C H L A G

Heute: Tag der Wahrheit; der Tag, an dem redaktionelle Geheimnisse gelüftet werden. Warum? Einfach so. (Wirklich schuld ist der Papst: weil der in diesem Jahr die Fußball-WM segnet, weshalb wir solidarisch seit Wochen die Fastenzeit einhalten, wonach der Geist sich läutert.)

Also, erstens: Unschöne Leserbriefe landen unverzüglich im Papierkorb, positive werden fotokopiert und in die Postfächer aller Redaktionen verteilt, gleich zwei Exemplare gehen an die Lohnbuchhaltung. Zweitens: Hinter dem täglichen Sportteil der taz steckt eine Mischung aus Konzept und Zufall (das prozentuale Verhältnis beider Faktoren wird nicht verraten). Drittens ist es volle Absicht, daß diese Seite wie jeden Montag vom Fußball handelt. Viertens arbeiten wir fest nach Maos Prinizip: Eine Zeitung machen heißt von der Konkurrenz lernen.

Und die bündelt Woche für Woche ihren Sachverstand in festen Rubriken. Bei der 'Berliner Morgenpost‘ beispielsweise nennt sich das „Die Lage“, was irgendwie klasse klingt und Assoziationen weckt: „Bericht zur Lage der (Fußball)-Nation.“ Faktisch steht dahinter, daß der Redakteur die Leserin an der Hand nimmt, um sie ein wenig durch die aktuelle Tabelle zu geleiten, eine Art Lesehilfe, was meistens in einem üblen Gestolpere endet: „Vorne scheint für die Bayern der Zug abgefahren, aber der Abstiegskampf gestaltet sich immer spannender. Mehr als fünf Mannschaften praktisch gleich, darunter der HSV, wer hätte das gedacht...“ Nee, sowas muß nicht sein.

Dann schon eher die 'Frankfurter Rundschau‘. In deren Statut, so erzählt man sich, steht, die Zeitung verstünde sich als links/liberal, also: links, Schrägstrich, liberal, und was liegt da näher als dort ein wenig zu kiebitzen, um deren Ansatz auf ein Blatt zu transformieren, welches sich auch rechts vom Schrägstrich ein bißchen links gebärdet?

Wahllos herausgegriffen finden sich im „Bundesligakommentar“ der 'FR‘ an den vergangenen Montagen die Leadsätze: „Endlich haben wir sie wieder. Wir - die Fußball-Besessenen, sie - die Bundesliga.“ - „Die im Münchner Olympiastadion haben es gesehen und die vor den Fernsehschirmen auch.“ - Die Preisfrage: „Wo findet man die Bundesligaprofis am Samstagabend nach getaner Arbeit?“ „Nichts Außergewöhnliches am 23. Spieltag der laufenden Saison, Siege und Niederlagen - eben wie immer.“ (Und die vier Unentschieden, ey?)

Gar nicht einfach, so etwas einzulinksen, fortschrittlich zu wenden irgendwie, womöglich noch angefeatured oder essaymäßig. Und auch das ist die Wahrheit: Wir sind daran gescheitert! Weil an der Tabelle in aller Regel nicht links und rechts interessiert, sondern oben und unten grrrrhh. Die Dinge sind so schrecklich überschaubar.

Gemein ist das, denn an sich lieben wir (und die taz -Leserschaft) es komplex, interdependent - gleichsam quasi faktisch verwurstelt. Bloß: Aus der Tabelle ist da nichts zu holen. Weshalb sich an dieser Stelle Press-Schläge finden, die dieser Erkenntnis folgend rufen: Lest doch eure Statistik alleine! Quält euch, ihr Schwaben, mit dem VfB Stuttgart, und jubelt, ihr Pfälzer, über die vorösterliche Auferstehung des 1. FC Kaiserslautern! Wir begleiten euch nicht.

Schreiben nur Kolumnen, wenn etwas Besonderes anliegt (z.B. Wahrheit, s.o.). Und die sollen - Offenbarung des letzten redaktionellen Geheimnises! - rund 100 Zeilen haben. Moment mal, kurze Frage an den Computer: ??? Antwort: Einhundertundneun. Na bitte, wer sagt's denn.

Herr Thömmes

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