piwik no script img

„Ich hatte mich schon geistig auf Prügel vorbereitet“

Das IRA-Mitglied Dermot Finucane über die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes Irlands, ihn nicht an die britische Justiz auszuliefern  ■ I N T E R V I E W

Die Weigerung des Obersten Gerichtshofs in Dublin, den in Nordirland wegen unerlaubten Waffenbesitzes gesuchten Owen Carron an die britische Justiz auszuliefern, hat die anglo -irischen Beziehungen schwer erschüttert. Der britische Nordirland-Minister Peter Brooke sagte, er sei über das Urteil „höchst beunruhigt“. Es werde die Ansicht verstärken, daß Irland „ein sicherer Hafen für Terroristen“ sei. Während der irische Außenminister Gerard Collins sagte, er akzeptiere das Urteil des unabhängigen Gerichts, forderten die Oppositionsparteien eine Verfassungsänderung. Das fünfköpfige Gericht hatte einstimmig entschieden, daß Carrons Vergehen politischer Natur sei und eine Auslieferung daher verfassungswidrig wäre. Carron war 1981 Wahlkampfleiter für den IRA-Hungerstreikenden Bobby Sands. Nach dessen Tod wurde Carron bei der Nachwahl ins britische Unterhaus gewählt.

Dasselbe Gericht hatte bereits Mitte März die Auslieferung der beiden IRA-Mitglieder Dermot Finucane und James Clarke verweigert, weil sie in Nordirland Mißhandlungen des Gefängnispersonals ausgesetzt wären. Der vorsitzende Richter Brian Walsh sagte: „Es wäre unrealistisch, die Situation in Nordirland nicht als Krieg oder Quasi-Krieg zu bezeichnen.“ Finucane und Clarke waren 1983 bei einem Massenausbruch aus dem Gefangenenlager Long Kesh bei Belfast entkommen, wo sie 18jährige Haftstrafen wegen IRA-Mitgliedschaft, Waffenbesitz und Mordversuch absaßen. Ein Berater Margaret Thatchers sagte nach dem Urteil, die Premierministerin sei „vor Wut im Dreieck gesprungen“. Die taz sprach mit Dermot Finucane in Dublin.

taz: Warst du von dem Urteil zu deinen Gunsten überrascht?

Finucane: a, vor allem von der Deutlichkeit der Urteilsbegründung. Ich war zwar davon überzeugt, daß wir genügend Beweise dafür hatten, daß die Anklage gegen mich politischer Natur war und ich von den Gefängniswärtern Mißhandlungen zu erwarten hätte. Aber diese Beweise hatten andere Leute in der Vergangenheit auch und sind dennoch ausgeliefert worden. Während des Prozesses habe ich mich geistig schon auf die zu erwartende Prügel vorbereitet. Meine Freude über das Urteil ist jedoch getrübt: Mein Bruder Pat, der so viel für mich getan hat und die Verteidigung vorbereitet hat, ist vor einem Jahr in Belfast ermordet worden.

Siehst du das Urteil als Präzedenzfall?

Ja. Das Urteil bedeutet, daß der Kampf für die irische Wiedervereinigung nicht sinnloser Terrorismus ist, sondern als politischer Kampf anerkannt werden muß.

Es ist bekannt, daß Richter Brian Walsh gegen Auslieferungen an die britische Justiz ist. War seine Ernennung in deinem Fall eine politische Entscheidung?

Wir haben im Portlaoise-Gefängnis die Zusammensetzung des Obersten Gerichts diskutiert. Wir wußten, daß Walsh noch nie an einem Auslieferungsprozeß teilnehmen durfte. Es gibt natürlich Gerüchte über seine politische Einstellung, aber er ist der angesehenste und erfahrenste Richter in Irland. Ein anderer Richter war gerade zurückgetreten. So gab es nur fünf Richter, die in Frage kamen. Alle fünf nahmen an meinem Prozeß teil.

Frankreich hat zwei angebliche IRA-Mitglieder an die BRD ausgeliefert. Es war das erste Mal, daß nach der europäischen Anti-Terrorismus-Konvention ausgeliefert wurde.

Ich kenne daß französische Rechtssystem nicht, aber ich war enttäuscht, daß sie der Auslieferung zugestimmt haben. Das Gericht hat jedoch anerkannt, daß der Konflikt in Nordirland politischer Natur ist. Die Deutschen müssen Frankreich vorher konsultieren, wenn sie die beiden Angeklagten an Großbritannien oder Nordirland weiterreichen wollen.

In letzter Zeit tauchen häufig Gerüchte über einen IRA -Waffenstillstand auf. Was ist dran?

Die IRA wird immer als blutrünstig dargestellt. Sie hat jedoch Gespräche ohne Vorbedingungen angeboten, um den Konflikt zu beenden. Die britische Regierung hat dagegen den Waffenstillstand zur Vorbedingung gemacht und die Gespräche dadurch verhindert. Davon hat niemand einen Vorteil.

Gab es in Long Kesh Kontakte mit Loyalisten?

Als ich das erste mal in Long Kesh war, gab es dort eine erzwungene Integration. Du hattest Loyalisten im selben Flügel, in der Nachbarzelle. Wir sprachen mit ihnen über die politische Situation in Nordirland und sogar über die Möglichkeit eines vereinten Irland. Die Loyalisten glauben, daß ein vereintes Irland unausweichlich ist - auch ohne ihre Zustimmung. Für sie ist es nur eine Frage der Zeit, bis die britische Regierung sie verraten wird. Sie stecken in einer Identitätskrise. In Irland gelten sie als Briten, aber außerhalb Irlands sind sie Iren. Sie haben immer geglaubt, daß sie für Krone und Vaterland kämpfen, doch Krone und Vaterland haben sie ins Gefängnis gesteckt.

Verschiedene Anschläge in letzter Zeit - vor allem der versehentliche Bombenanschlag auf die gesamtirische Frauenkonferenz in Newcastle - haben heftige Kritik der irischen Linken ausgelöst. Ist die IRA in der Linken isoliert?

Die IRA sagt selbst, daß bewaffnetete Aktionen, bei denen Fehler gemacht oder Zivilisten getötet werden, ihrer Sache schaden. Ihre Aktionen sind gegen das militärische Establishment der Briten gerichtet, aber in jedem Krieg leiden auch Zivilisten. Die IRA hat jedoch die Pflicht, sämtliche Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Ursache des bewaffneten Kampfes sind die Ungerechtigkeiten in Nordirland. Wir, wie jedes andere Land, wollen Freiheit. Wir freuen uns über das Zusammenkommen der beiden deutschen Staaten und hoffen, daß auch unser Tag kommen wird.

Wie sehen deine Zukunftspläne aus?

Die letzten zehn Jahre war ich auf der Flucht oder im Gefängnis. Dadurch wurde meine Familie sehr in Mitleidenschaft gezogen. Meine Tochter wurde geboren, als ich im Gefängnis war. Ich will ein möglichst normales Leben führen. Ich will aber auch meine Freiheit nutzen, um zum Verständnis des Konflikts im Norden beizutragen.

Interview: Ralf Sotscheck

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen