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120.000 Israelis rufen „Fuck the system“

Größte Demonstration in der israelischen Geschichte gegen Korruption und das geltende Wahlsystem / Volksentscheid über Änderung des Wahlrechts gefordert / Vor allem die Rechte kritisiert den Einfluß der kleinen Parteien / Parlamentsberatung angesetzt  ■  Aus Tel Aviv Amos Wollin

Mehr als 120.000 Israelis haben am Samstag in Tel Aviv für die „Änderung des Regierungssystems“ demonstriert und eine direkte Wahl des Regierungschefs sowie radikale Änderungen im bestehenden Verhältniswahlsystem gefordert. Der Volkszorn richtete sich gegen das Wahlsystem überhaupt und gegen die Korruption in der politischen Führungsschicht. „Wir haben die Nase voll“ und „Fuck the system“ lauteten die Parolen der bislang größten Demo in der israelischen Geschichte. Der Einfluß der verschiedenen Parteien der Rechten war stark, aber auch die meisten anderen Koalitionsgruppen waren vertreten. Die Großkundgebung war von der „Bewegung für eine Änderung des Regierungssystems“ organisiert, deren Führer dem Likud zugehören oder nahestehen. Zu den prominenten Mitgliedern der Bewegung zählen aber auch Staatspräsident Haim Herzog und der Bürgermeister Jerusalems, Teddy Kollek, die der Arbeiterpartei näher stehen als dem Likud. Im Parlament soll am kommenden Mittwoch über vier Anträge zur Änderung des Wahlrechts beraten werden.

Die seit Jahren erregt geführte Debatte über eine Reform des Wahlsystems erhielt in jüngster Zeit neuen Antrieb durch die Exzesse beim Kuhhandel um die Regierungsbildung. Sowohl der konservative Likud als auch die Arbeiterpartei werden beschuldigt, dubiose Geschäfte mit Überläufern aus anderen Parteien im Lager des Gegners gemacht zu haben. Dabei soll Bestechung mit verschiedenen Mitteln (inkl. finanzieller Art) eine entscheidende Rolle gespielt haben. Den kleineren Parteien werden Erpressungsmethoden zur Last gelegt. Mehr als hunderttausend Israelis haben bereits in den vergangenen zwei Wochen eine Petition von Reserveoffizieren zur Änderung des Wahlrechts mitunterzeichnet. Das Recht garantiert nach ihrer Meinung den kleinen und Splitterparteien zu großen Einfluß.

Zwar will auch die Arbeiterpartei Wahlreformen durchführen, aber sie lehnt die Vorschläge der Rechten ab; diese verlangen, daß eine erneut eine breite Koalition mit dem Likud gebildet werden soll zwecks Erarbeitung eines Wahlgesetzes, das wiederrum frühe Neuwahlen ermöglichen soll. Die Arbeiterpartei sieht darin ein taktisches Manöver, den „Friedensprozeß“ weiter zu verzögern. Eine Variation des Likud-Konzeptes wurde von dem ehemaligen Stabschef im Libanonkrieg und gegenwärtigen Knessetmitglied der rechtsradikalen „Tzomet“ Partei, General R.Eitan, ausgearbeitet und von der gestrigen Massenkundgebung unterstützt: Die Abhaltung einer Volksbefragung, nach dem „Experten“ - keine Politiker - dem Staatspräsidenten ein neues Wahlsystem erarbeiten sollen.

Eine Reihe von namhaften Universitätsprofessoren und Schriftstellern wie Amos Oz und A.B.Jehoshua warnten indes in einem Aufruf vor hastigen Maßnahmen, die die demokratischen Strukturen gefährdeten. „Wichtiger noch als eine Änderung des Wahlsystems ist die Freimachung des Wegs, der zum Frieden führt - die Beseitigung des Schamir -Hindernisses.“ Fraglos drückt die Massenkundgebung Frust und Ärger über den ehemaligen und zukünftigen Koalitionspartner aus. Dieser berechtigte Zorn wird jedoch von den rechten Führern ausgenützt. Einstweilen geht der Kuhhandel ungehindert weiter.

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