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Unter Billigflagge ins Verderben

■ Wiederum ist ein Schiffsunglück folgenschwere Konsequenz systematischer Mißachtung der Sicherheit

Das im Skagerrak in Brand geratene dänische Fährschiff „Scandinavian Star“ brennt immer noch. Bergungstrupps und Polizeibeamte halten sich bereit, das Schiff systematisch nach weiteren Opfern und Hinweise auf die Brandursache zu durchsuchen - wahrscheinlich Kurzschluß durch „lose herumhängende“ Kabel. Die Katastrophe, die 135 Menschen das Leben kostete, ist erneut tragische Konsequenz des international gängigen „Ausflaggens“: Reedereien registrieren ihre Schiffe unter fremder Flagge, um Kosten zu sparen. Sie schicken ihre Kähne unter Umgehung geltender Sicherheitsbestimmungen und mit billigen ausländischen Mannschaften auf die Reise.

Samstag abend in Lysekil an der schwedischen Westküste: Vier Schlepper manövrieren die „Scandinavian Star“ in den kleinen Hafen. Die Fähre zeigt leichte Schlagseite, vom Feuer geschwärzte, achtern ausgebrannte Aufbauten. Dichter und giftiger Qualm dringt aus dem Schiff. Das Feuer, das in den frühen Morgenstunden an Bord des Fährschiffs auf der Fahrt von Oslo ins dänische Fredrikshavn ausgebrochen war, konnte noch nicht gelöscht werden. Am Sonntag morgen ist die Kommandobrücke völlig zerstört. Trotz nächtlichen Einsatzes hat die Feuerwehr den Brand immer noch nicht in den Griff bekommen. Dicker schwarzer Qualm hängt über dem Hafen, die EinwohnerInnen von Lysekil sind aufgefordert worden, die Fenster zu schließen und ihre Häuser möglichst nicht zu verlassen. Bergungstrupps und Polizeibeamte stehen schon bereit, das ausgebrannte Schiff systematisch zu durchkämmen, die Toten zu bergen.

Während der Nacht sind immer mehr Angehörige von Vermißten nach Lysekil gekommen. Sie warten im Hafen, im „Hotel Lysekil“, der Einsatzzentrale. Hoffnung, jetzt noch Überlebende zu finden, besteht nach Aussage der Feuerwehrleute nicht mehr. Weiterhin unklar ist, wieviele Opfer sich noch im Innern des Schiffes befinden. Das bislang folgenschwerste Unglück eines Fährschiffs in Skandinavien hat nach bisherigen Angaben 135 Menschenleben gefordert; davon wurden 75 geborgen, 60 weitere werden noch vermißt. 358 Passagiere und Besatzungsmitglieder konnten mit Hilfe von Schiffen und Hubschraubern gerettet werden. Die Reederei hat weder eine genaue Passagierliste noch weiß sie, wieviele Besatzungsmitglieder an Bord waren. Rettungschef Conny Englund: „Erst irgendwann im Laufe des Tages dürfte feststehen, wieviele Opfer der Brand gefordert hat.“

Beinahe 20 Jahre alt ist das in Frankreich gebaute Schiff, das nach mehreren Eigentümerwechseln erst seit dem 2.April von der dänischen „Dano-Line“ auf dieser Route eingesetzt war. Es ist auf den Bahamas registriert, mit einer Besatzung vorwiegend aus Portugiesen und Filipinos. Haarsträubende Berichte von Überlebenden über den schlechten Gesamtzustand des Schiffes bestätigen von Experten gehegte Befürchtungen. Die Passagiere berichten von chaotischen Verhältnissen an Bord, von Besatzungsmitgliedern, die sich gegenseitig nicht verstanden und sich auf englisch, portugiesisch und in anderen Sprachen anschrien, völlig überfordert waren.

Einen Brandalarm hat es nicht gegeben, versichern mehrere Passagiere. Einige wurden von Brandgeruch geweckt, andere vom Lärm auf den Gängen. Eine Frau berichtet, die Passagiere hätten allein ihre Rettung organisieren müssen. Niemand hätte ihnen einen Fluchtweg aus den verwinkelten Gängen zu den Rettungsbooten gezeigt, Schwimmwesten habe sich jeder selbst suchen müssen. „Die Besatzung hatte offensichtlich keine Ahnung von der Funktion der Rettungsboote. In meinem Boot konnten die Männer die Seilwinde nicht bedienen. Wir hingen außen an der Schiffswand über dem Wasser, wären im Qualm fast erstickt.“ Ein dänischer Passagier bestätigt: „In unserem Rettungsboot wußten die Matrosen nicht mal, wie der Motor anzuwerfen ist. Passagiere mußten es ihnen zeigen.“

Fähre war Baustelle

Eine Rettungsübung habe die unerfahrene, schlecht ausgebildete und erst seit einer Woche zusammenarbeitende Besatzung offenbar nicht gemacht, kommentiert die norwegische Seeleutegewerkschaft diese Berichte. Schlimmer noch: Grundlegende Sicherheitsbestimmungen scheinen mißachtet worden zu sein: Die Überlebenden berichten davon, daß viele der Autoreisenden in ihren Fahrzeugen auf dem Autodeck übernachtet hätten. Dabei ist der Aufenthalt auf dem Fahrzeugdeck auf allen Fähren während der Überfahrt streng verboten - aus Sicherheitsgründen. Die Schiffsführung habe den Reisenden den Aufenthalt dort - so die Berichte sogar nahegelegt, weil nicht genügend Kabinen zur Verfügung standen.

Die „Scandinavian Star“ ist zwar für 1.000 Passagiere ausgelegt, konnte aber zum Zeitpunkt des Unglücks nicht einmal für 300 Reisende Kabinenplätze bereitstellen; notwendige Umbauarbeiten waren noch nicht abgeschlossen. Der Reederei war die planmäßige Aufnahme des Verkehrs und die Mitnahme des einträglichen Ostergeschäfts offenbar so wichtig, daß sie lieber eine Vielzahl von Handwerkern mitpendeln ließ, die auf den Überfahrten die noch anstehenden Umbauarbeiten durchführten. Die von der norwegischen Seeleutegewerkschaft als „Skandal“ bewertete Nachricht, Passagieren sei gestattet worden, gegen alle Sicherheitsvorschriften auf dem Autodeck zu verbleiben, wird bestätigt durch die Reaktion des Pressechefs der Dano-Line, Ole B.Hansen, auf diese Meldungen: Seines Wissens könne ein Kapitän das durchaus genehmigen.

Tatsächlich herrscht in dieser Frage ein striktes, seit Jahren geltendes Verbot - und zwar für alle Fähren im Skandinavien-Verkehr, gleich welcher Flagge. Gerade auf dem Autodeck scheint es viele Tote gegeben zu haben: Das Feuer war in einem der Kabinendecks ausgebrochen. Die für einen Katastrophenfall unzureichenden und rasch mit Rauch gefüllten Aufgänge aus dem Fahrzeugdeck wurden der Mehrzahl der Opfer zur Todesfalle. Berichte der mit Hubschraubern auf dem Schiff abgesetzten schwedischen und norwegischen Feuerwehrleute deuten darauf hin, daß auch die Alarmanlage sowie das bordeigene Brandbekämpfungssystem gar nicht oder technisch unzureichend funktionierten: Es war an mehreren Stellen leck und mußte abgestellt werden, um die Fähre nicht zum Kentern zu bringen. Die „Scandinavian Star“ durfte den Verkehr aufnehmen, ohne von den norwegischen Seesicherheitsbehörden überprüft worden zu sein.

Gemeinsames Vorgehen

gegen Ausflaggen

Es war dies der dritte Brand auf einer Fähre auf der Route Oslo-Fredrikshavn innerhalb von zwei Jahren. Eine vermeidbare Katastrophe, meint Anders Lindström, Vorsitzender der schwedischen Seeleutegewerkschaft: „Eine direkte, tragische Konsequenz des Ausflaggens. Man flaggt aus, um Bemannungsregeln und Sicherheitsbestimmungen umgehen zu können.“ Er ist überzeugt, daß der Brand auf einer Fähre unter skandinavischer Flagge nicht so verheerende Auswirkungen gehabt hätte: „Hier finden jede Woche Rettungsübungen statt, es gibt keine Sprachschwierigkeiten, die Sicherheitsbestimmungen werden eingehalten.“ Gerade an diesem Wochenende hatten sich Vertreter der Seeleutegewerkschaften aus den skandinavischen Ländern in Stockholm versammelt, um sich über ein gemeinsames Vorgehen gegen das sprunghaft angestiegene Ausflaggen von in nördlichen Gewässern verkehrenden Schiffen nach Liberia, Panama oder den Bahamas abzustimmen. Reedereien können die Personalkosten für ihre Schiffe teilweise bis auf ein Zehntel reduzieren, wenn sie ausflaggen und ihre Kähne mit Billigbesatzung auf die Reise schicken. Bittere Ironie: Nicht nur allgemeine, sondern auch eine ganz konkrete Aktion hatten die Seeleeutegewerkschaften bereits in der Planung: Für Mittwoch dieser Woche war ein Treffen vorgesehen, bei dem abschließend über ein Vorgehen ausgerechnet gegen die „Scandinavian Star“ beraten werden sollte. „Die ist ja nun weg“, sinniert Anders Lindström. „Aber jetzt kommt es darauf an, die Regierungen gegen weitere derartige Schiffe zu aktivieren.“ Und die wird es geben, solange es Passagiere für sie gibt. Die norwegische Reederei Fred Olsen will in den nächsten Wochen einen Fährverkehr zwischen Kopenhagen und Göteborg eröffnen. Mit einem Billigflaggenschiff.

Reinhard Wolff

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