: IGBE-Gewerkschaftstag mit kleinen Fehlern
1.Kongreß der DDR-Gewerkschaft Bergbau-Energie wählte Peter Witte zum Vorsitzenden / Deutsch-deutscher „Doppelbeschluß“: DGB bricht FDGB-Kontakte ab / IG Bergbau und Energie (West) beginnt offizielle Zusammenarbeit mit DDR-Schwestergewerkschaft ■ Von Anna Jonas
Berlin (taz) - Am Samstag mittag, kurz nach high noon, verabschiedete Peter Witte - der neue Vorsitzende der neubenannten Industriegewerkschaft Bergbau-Energie -Wasserwirtschaft - die Delegierten mit Dank dafür, daß sie „die Grundlagen für eine Erneuerung unserer Gewerkschaft geschaffen“ hätten. Das Votum für Witte war nach einer Stichwahl (142 von 245 gültigen Stimmen) zwar deutlich gewesen, dennoch waren die Wahlen zum neuen Geschäftsführenden Vorstand nicht glatt verlaufen.
Daß die Berliner Delegation Witte vorschlagen würde, war auf einer Besprechung der Delegationsvorsitzenden angekündigt - Gegenkandidaturen waren dagegen nicht angekündigt worden. Aber die Delegation aus Frankfurt (Oder) benannte „in Übereinstimmung mit dem Bezirk Potsdam“ ausgerechnet einen anderen Berliner, der - und das war der zweite Knaller - die Kandidatur annahm. „Als stärkste Delegation die Pflicht“ zu haben, „einen Kandidaten zu stellen“, befanden auch die Cottbusser. Sie schickten den eigenen Delegationsleiter Detlef Nötzold ins Rennen. Der Bezirk Halle schließlich schlug einen Kollegen vor, dessen Chancen schon deshalb schlecht standen, weil er am Vormittag von der Tagungsleitung - er hatte sein Amt recht robust ausgeübt - zunächst auf Zuruf, dann per Abstimmung abgelöst worden war.
Dieser erste Kongreß der Industriegewerkschaft Bergbau -Energie der DDR, der vom 5. bis 7.April in Bernau tagte, geizte wahrlich nicht mit Überraschungen: Die BRD-DDR -Gewerkschaftsgeschwister vereinbarten eine offizielle Zusammenarbeit; eine perplexe Delegiertenschar erfuhr von der offiziellen Kontaktsperre des DGB zum FDGB; das Rätsel um das gewerkschaftliche nicht Flagg-, aber Kreuzschiff „Arcona“ blieb ein gehütetes Geheimnis; und der Untersuchungsausschuß hatte sich und seine Kumpane sicherheitshalber gleich selbst untersucht.
Dabei hatte alles ganz harmlos angefangen. Die 246 anwesenden Delegierten, die rund 470.000 Mitglieder aus dem Braunkohle- und Erzbergbau, der Kali-Industrie, der Energie und Wasserwirtschaft vertraten, hatten sich gleich zu Kongreßbeginn zur Einhaltung des vorgegebenen Zeitplans bekannt. Und entsprechend stur wurde ein Antrag niedergestimmt, bei der Satzungsdiskussion, für die ganze 150 Minuten vorgesehen waren, Abweichungen vom Zeitplan zuzulassen.
Als das Soll des ersten Kongreßabends nach 58 Minuten jedoch erfüllt war, ging es unprogrammgemäß fleißig weiter mit dem „Bericht des Untersuchungsausschusses“. Darin war die Rede von einem gewissen bösen (Günter) Wolf, doch kam der alte Zentralvorstand ansonsten wie frisch aus der Weißwäscherei. Ein paar „Saunabesuche“ mit „gediegener Verpflegung und Versorgung“ des ehemaligen Vorsitzenden in einem „werkseigenen Schulungsobjekt“ waren nachzuweisen, „ein Besuch“ jedenfalls „erfolgte gemeinsam mit einer Gewerkschaftsdelegation aus der BRD“, und die jährlich 50 Ferienbetten vom FDGB „zur persönlichen Verfügung des Vorsitzenden“... - alles lächerlich kleine Fischzüge, die einen Vergleich mit dem Ausmaß an Korruption der Ex-FDGB -Prominenz regelrecht scheuen mußten.
Hartnäckige Nachfragen ergaben, die beiden tätig gewordenen Mitglieder dieser Untersuchungskommission hatten dem alten Zentralvorstand selbst als Mitglieder angehört. Doch die Delegierten, seit der Wende an manches gewöhnt, nahmen's mit erschreckendem Gleichmut. Außerdem hatten die beiden ihre Untersuchung ausschließlich auf die „Mitglieder des Sekretariats“ beschränkt. Per Abstimmung hieß der Bericht ab sofort nicht mehr „unabhängig“, und eine neue Untersuchungskommission wurde umgehend berufen.
Das Verfahren der Namensänderung - Hinzufügung der „Wasserwirtschaft“ - war ein Akt bravouröser Kongreßtechnik. Einige zur Beratung anstehende „Dokumente“ waren vorsorglich schon mal mit dem kompletten neuen Namen ausgedruckt worden. Die Überraschung lag damit auf dem Tisch. Trotzdem wurde der Antrag auf Namensänderung abgeschmettert, und prompt drohten die Wasserwirtschaftskollegen mit Austritt. Schließlich wurde das längst fortgeschrittene und durchaus problematische Verfahren der Satzungsdiskussion - Rede, Gegenrede, Abstimmung - zugunsten einer „demokratischeren Grundsatzdiskussion“ abgeändert. Und für den unterlegenen „Wasserwirtschaftsantrag“ wurde „ganz demokratisch“ rückwirkend derselbe Modus reklamiert. Das Plädoyer - „die Wasserwirtschaft wird noch Arbeitskräfte brauchen, wir werden dann Solidarität üben!“ - endete in einer unheilschwangeren, rhetorischen Frage: „Wenn ihr schon beim Namen keine Solidarität übt, was wird dann erst bei einem Streik geschehen?“ Ab da war Annahme des Antrags programmiert.
In der neuen Satzung wurden ganze sozialpolitische Arbeitsfelder als gewerkschaftliche Tätigkeitsbereiche reklamiert: Zusatzrenten, Krankengeldzuschüsse, Sterbegelder, Geburtsbeihilfen. Doch die wiederholten Ermahnungen einzelner Delegierter, das Denken aus Zeiten der „Sozialmonarchie“ nicht auf die neue Gewerkschaft zu übertragen, nützte wenig. Am liebsten doppelt gemoppelt wollten manche ein Sicherheitsnetz zwischen Programm und Satzung hin- und herknüpfen. Dabei ist die freie Verfügung über die eigenen Mitgliedsbeiträge „bisher nur in Aussicht gestellt“. Denn angeblich brütet der FDGB noch immer über sämtlichen Geheimnissen des riesigen Vermögens. Die Anfang Februar neu gewählte FDGB-Vorsitzende Helga Mausch (IGBE) erklärte, das „Problem“ sei, „das Vermögen erst mal zu definieren“. Als schwere Mängel im „Sozialtourismus“ - ex -FDGB-eigen, jetzt formal selbständig - beklagt wurden und Delegierte Rückrufaktionen von Schecks für FDGB-Ferienheime nannten, sprach die FDGB-Vorsitzende von bedauerlichem „Valuta-Denken“. Dann landete ein Delegierter einen Knaller: „Wem gehört die 'Arcona‘?“ „Sie ist nicht Eigentum des FDGB“, so Helga Mausch. „Wem gehört sie denn?“ Mausch: „Der FDGB hatte die Verfügung über bestimmte Plätze, und der FDGB mußte sie instandhalten.“ „Am Bug“ des gewerkschaftlichen Flaggschiffs sei aber das FDGB-Emblem, so der Delegierte. Helga Mausch kann das „nicht eindeutig beantworten“. Schließlich Resignation und Schulterzucken.
Kleine Flucht der FDGB-Vorsitzenden nach vorn: Heute habe sie ihrem Pressedienst entnommen, der DGB wolle keine weiteren Kontakte zum FDGB. Gründe: Ungenügende Demokratisierung, mangelnde Reformfähigkeit. Helga Mausch: „Dabei haben wir uns so viel Mühe gegeben!“ Mit dieser Neuigkeit war die Überraschung eigentlich perfekt - doch die Delegierten bissen nicht an. Im nachhinein erklärte sich aber der so plötzliche stille Abgang des 1.Stellvertretenden Vorsitzenden der IGBE (West), Hans Berger, der gleich zu Kongreßbeginn ins Präsidium gebeten wurde. Der Besuch der FGDB-Vorsitzenden war weder vorgesehen noch angekündigt, kollidierte also wohl mit der internen „Beschlußlage“ des DGB. Die Autonomie der DGB-Einzelgewerkschaften zeigte sich lehrbuchhaft: Die DGB-Töchter können der Mutter den Umgang untersagen, umgekehrt wird kein Schuh draus.
Vorbehalte wegen mangelnder demokratischer Erneuerung im FDGB hatte Berger schon in seiner Rede nicht verhehlt. Gemeinsamkeit und Einigkeit, sagte er abschließend, seien nur möglich, „wenn die Prämissen stimmen“. Und beim FDGB stimmen sie offenbar nicht. Nach der Entschließung zur Zusammenarbeit war das für die Delegierten um so härterer Tobak. „Wir können doch gleich über die orangefarbene (DGB-) Satzung abstimmen!“ hatte zwischendurch einer sarkastisch gerufen. Wenn die Zeichen nicht trügen, wird die IGBE-West es ihnen aber so einfach nicht machen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen