Verständnisbereite Ohren

■ Gespräch mit Rüdiger Kremer, Hörspiel-Dramaturg bei Radio Bremen, über das Zeit-und Unzeitgemäße des Hörspiels

Rüdiger Kremer

taz: Was machst Du als Dramaturg?

Rüdiger Kremer: Ich kaufe das Programm ein zusammen mit dem Abteilungsleiter und mit den Regisseuren. Wir versuchen also eine größtmögliche Entscheidungsbasis herzustellen. In der Regel schicken die Autoren ihre Sachen an alle Anstalten. Manchmal merkt man auch, daß Autoren ihre Stücke gezielt an uns schicken, Stücke von etwas direkterem politischen Inhalt, weil Radio Bremen immer noch einen liberalen Ruf hat.

Das Hörspiel wird von einer Minderheit gehört, hast Du eine Vorstellung davon, wer das ist?

Das ist schwierig. Wir haben ein relativ Foto: Wolfram Steinberg

kleines Feedback. Wir sind uns im klaren darüber, daß wir mit dem Hörspiel nicht die Straße fegen. Wir haben zwei Termine für große Hörspiele und einen Kurzhörspieltermin am Mittwochnachmittag mit maximal 30 Minuten. Und das gibt jedesmal auf der Programmkonferenz Krach, wenn wir über 12 Minuten sind - weil das natürlich 'ne Programmbremse ist.

Ist das Hörspiel nicht eine aussterbende Kunstform?

Für mich heißt Hörspiel Radiokunst. Wo Kunst im Spiel ist, ist Denken im Spiel, ist die Stromlinie unterbrochen. Da ist Nachdenken gefragt und Nachdenken hemmt. Und solange man Hörspiel im Programm haben will, hat man einzukalkulieren, daß das Radio auch bremsen kann und soll. Den schnellen Fluß der Gedanken.

Aber ist diese durch das Radio entstandene Hörform nicht doch etwas erschöpft?

Ach, die Leute malen auch schon seit der Steinzeit, und sie malen doch immer wieder was Neues. So ähnlich geht's mit dem Hörspiel. Das Hörspiel ist eine Form von verbaler, auditiver Vermittlung. Die Leute erzählen sich was, solange es Leute geben wird. Hörspiel hat viel ausprobiert, im Augenblick ist es ziemlich opulent, ziemlich laut, opernhaft, sehr geräuschig, und das sind Sachen, die wollen wir so nicht machen.

Was ist Eure Programmpolitik?

Wir sehen unsere allererste Aufgabe darin, neue Autoren zu entdecken und die auch bei uns zu halten. Wir laden zum Beispiel auch Autoren ein, bei der Produktion dabei zu sein. Das tun längst nicht alle.

Was für Formen präferiert Ihr?

Wir können aus finanziellen Gründen nicht bei den großen Hörspielopern mithalten, den großen historischen Schinken, Kino ohne Bild mit Reitergetrappel und Schlachtenlärm. RB hat den kleinsten Hörspieletat in der ARD, eine 3/4 Million für den ganzen Produktionsbereich. Wir machen kleinere Sachen, die ein bißchen aus der Mode sind, aber jetzt wiederkommen. Das sog. literarische Hörspiel, z.B. Beckett, der so eine ars povera gemacht hat. Also erstklassig geschriebene Stücke in einem bescheidenen technischen Aufwand. Was in den letzten Wochen und Monaten lawinenartig kam, waren Deutschland-Deutschland-Stücke.

Das heißt, Hörspiel kann sogar schnell auf aktuelle Ereignisse reagieren?

Die Autoren reagieren ganz oft ganz schnell, aber es ist nicht immer die geeignete, durchdachte Reaktion. Weil sie weniger auf ästhetische Formen Rücksicht nimmt.

Nun findet Hörspiel ja unter sehr hermetischen Bedingungen statt.

Naja, früher wurde Hörspiel ja auch draußen gemacht. Der Trend, wo das Hörspiel naturalistisch audiophon abbildet, wie'n Soundtrack zum Kino, der ist vorbei. Gottseidank. Weil Hörspiel sich neue Räume erschlossen hat. Es geht mehr nach innen, in die Innenseite vom Kopf, keine Innerlichkeit, bloß nicht, aber die Räume sind eher empfindungsmäßig nachgebildet, sie sind gedacht, entworfen, entwickelt dargestellt. Der Hörer wird hinter das eigene Stirnbein versetzt.

Wer ist eigentlich „der Hörer“?

Das weiß eigentlich so ganz genau niemand, wir auch nicht.

Jedenfalls ist das Hörspiel ein Wesen, das auf einen Sinn reduziert. Und die einzige öffentliche Anerkennung, die es erfährt, kommt durch den Hörspielpreis der Kriegsblinden.

Ja, aber da liegt auch die große Chance: daß das Hörspiel einen Sinn beansprucht, aber den total. Was über die reine Wort-Sprach-Geräusch-Artikulationsvermittlung an Bildern und Gefühlen gezaubert werden kann, das ist schon toll. Man kann in den Kopf eines Menschen unglaublich viele Sachen projizieren. Ich bin einfach immer wieder erstaunt, wie Wortvermittlung via Mundwerk und Ohr funktioniert. Fragen: clak

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