: 45 Grad im Schatten
Im Familienstreit um die Kontrolle über das traditionsreiche Pariser Verlagshaus Gallimard hat die jüngste der vier Erben, Isabelle Gallimard, für Überraschung gesorgt. Sie überließ jetzt der staatlichen Banque Nationale de Paris (BNP) praktisch die Gesamtheit ihres Kapitalanteils von 12,5 Prozent und behielt nach eigenen Angaben nur „einige Aktien, um in der Gesellschaft zu bleiben“. Die BNP ließ sogleich wissen, sie habe sich verpflichtet, das Aktienpaket mehrere Jahre lang festzuhalten, um den Einstieg von Großunternehmen in den wohl renommiertesten Buchverlag Frankreichs zu verhindern und seine Unabhängigkeit zu wahren. Das war gleichzeitig eine Antwort an 58 bedeutende Schriftsteller, die vor kurzem mit dem Entzug der Verlagsrechte für ihre Werke gedroht hatten, sollte sich eine Finanz- oder Industriegruppe die Kontrolle über NRF-Gallimard sichern. Die BNP wollte den Betrag für die Übernahme des Kapitalanteils der jüngsten Erbin nicht bekanntgeben und beschränkte sich auf die Feststellung, der Preis habe erheblich unter den 20.000 Francs (knapp 5900 Mark) pro Aktie gelegen, den die New Yorker Bank Ansbacher im Auftrag von Isabelles Schwester Francoise Gallimard errechnet hatte. Francoise, die älteste der vier Geschwister, hatte im Januar den Verkauf ihres Kapitalanteils über das amerikanische Bankhaus angeboten und damit den Streit zwischen den Erben offen zum Ausbruch kommen lassen. Der Konflikt begann 1988, als der heute 76 Jahre alte Vater Claude Gallimard wegen Krankheit die Verlagsleitung an seinen Sohn Antoine Gallimard abgab. Den älteren Sohn Christian hatte er nach Unstimmigkeiten 1983 als Juniorchef abgesetzt. Antoine Gallimard wird von seinen drei Geschwistern vorgeworfen, unter dem Preis 13,38 Prozent des Aktienkapitals seines Vaters erworben und sich damit eine Sperrminorität von 33,5 Prozent gesichert zu haben. Nach ihrer Darstellung sei Claude Gallimard nicht mehr im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte gewesen, als er die Aktien seinem Sohn überließ. In den Auseinandersetzungen konnte der Verlagschef vor einer Woche einen Teilerfolg verbuchen. Das Pariser Handelsgericht lehnte den Antrag seiner drei Geschwister ab, das hinzuerworbene strittige Aktienpaket unter Zwangsverwaltung zu stellen, untersagte ihm allerdings gleichzeitig, bis zum endgültigen Urteil über dieses Kapital zu verfügen.
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