: Sex & Porno: unheilbar spiessig
■ Wie das Gewalt-gegen-Frauen-Stück "Masterpieces" von Sarah Daniels diese gegen die Zuschauer kehrt
Im Zuschauerraum ist es dunkel wie im Beichtstuhl, und das ist gut so, denn hier befinden wir uns auf der Suche nach dem Schwein (der Sau?) in uns selbst, in einem Stück nämlich über „Sexualität, Gewalt und Pornographie (...), ein Stück patriarchaler Alltag.“
Also gleich hinunter auf die Knie: „heuchler - du: gib es zu - auch du vergewaltigst frauen: im bett, im liegen, im sitzen, im stehen, auf einem stuhl, einem bequemen sessel oder tisch. alleine ohne sie, mit ihr, gegen sie und gegen dich. (...) gib es zu, oder bist du ein feigling???! (...)“ fragt uns ein gewisser Volker in einem der Begleittexte des Programmheftes.
Das Stück (als Vorlage dient ein Mordprozeß aus dem Jahr 1986 in London) besteht aus einer Abfolge von sechzehn Szenen und ist rasch erzählt: Rowena Stone, eine bis dahin vollkommen „unbescholtene“ (?) Sozialarbeiterin, stößt eines Tages einen ihr unbekannten Mann vor die U-Bahn, als er versucht, sie „anzusprechen“. In Szene zwei steht sie bereits vor Gericht, die Szenen drei bis sechzehn wollen uns erklären, wie es zu dieser Tat gekommen ist. Doch hier erklärt sich leider so gut wie gar nichts, nur so viel: Rowena hat Pornohefte unter die Augen bekommen und wenig später ein snuff-movie gesehen: In diesem Genre des pornographischen Films werden die DarstellerInnen de facto vor laufender Kamera getötet!), dies vermutlich im Hause ihres pervertierenden Stiefvaters. Und dann ist da Yvonne, die depressive Freundin Rowenas, Lehrerin an einer Schule, aus der sie jeden Tag mit einer erstaunlichen Kollektion von Pornoheften nach Hause kommt, „schmutzige Hefte“, wie uns die Aufführung signalisiert, denn die Hefte bestehen auf der Bühne aus Blättern aus reinstem Schwarz. In Yvonnes Schule gilt es als Meisterstück (Masterpiece?), wenn ein Junge aus der Zehnten ein Mädchen aus der Zwölften flachlegt.
Rowena und Yvonne sind verheiratet mit zwei braven, geilen, mittelständischen Männern, Trevor und Ron, mit denen sie gelegentlich auf dem Wohnzimmerteppich schmusen, die aber darunter zu leiden scheinen, daß ihre Frauen es nicht mehr so gern so oft tun wollen wie sie.
Zwei romantische Lichtblicke im Personarium: die ausgeflippte Mutter Rowenas, die es vorzieht, sich exaltiert statt verbittert zu gebärden (was ihre Tochter keineswegs honoriert), und Hilary O'Brian, Prototyp der schlagfertigen Edelnutte (hinlänglich bekannt von Brecht bis Fellini!) und Alkoholikerin, völlig ausgemergelt, aber von Mutterliebe besessen: „Ich sehe aus wie aus dem Müll gezogen, aber mein Junge ist immer picobello...“ Hilary, Lieblingssozialfall der mildtätigen Rowena, versucht sich in „ehrlicher Arbeit“ in Rons Büro, der, wie könnte es anders sein, sie nach Hause fahren will, da zu Hause bei Yvonne ja nichts mehr läuft, worauf Hilary kündigt und erneut im Sumpf versacken muß. (Gescheiterte Rechtschaffenheit!) Bilden wir also die Summe aus perversem Stiefvater, exaltierter Mutter (mit der man gar nicht reden kann), erster Präsentation von Hardcore -Pornos durch eine puritanische Lehrerin, harter Konfrontation mit der Realität von Prostitution und dem Betrachten eines snuff-movies, so ergibt sich unter dem Strich: das Werfen eines unbekannten Mannes vor eine U-Bahn. (In der Premiere wird diese Tat vom Publikum mit Applaus bedacht.)
An einer solchen Stückvorlage müßte noch das beste Ensemble scheitern. Die Autorin, Sarah Daniels, führt vor, wie man ein schwieriges und kontroverses Thema durch eine verstaubte naturalistische Personen- und Handlungskonstellation vom Fleck weg abklemmen kann und eine ernsthafte Irritation erst gar nicht aufkommen läßt. Das Stück bleibt durchweg in der Pose der Anklage stecken, die typische Opfer-Täter -Konstellation wird an keiner Stelle in Frage gestellt. Nicht, daß die Figuren völlig jenseits aller Widersprüche existierten. (So behauptet zum Beispiel Yvonne, als ihr Mann sie als „frigide, hysterische Fotze“ beschimpft, ihm sei unversehens „die Wahrheit aus dem Maul gerutscht“.) Aber sowohl Inszenierung als auch Darstellung nehmen sich dermaßen liebevoll bis mitleidig ihrer Figuren an, daß das Stück jenseits von jedem analysierenden Anspruch zum pseudosozialen Rührstück gerät, in dem weder Schicht- noch Klassen- noch Geschlechter- noch Sonst-was-Gegensätze thematisiert werden.
Und so erklärt sich letztlich die komische Tragik (und nichts ist weniger tragisch als die Spielarten alltäglicher Gewalt!) einer falschen Heldin, die (für eine Londoner Sozialarbeiterin ohnehin fragwürdig spät erwacht) an einer Realität zu leiden glaubt, die nicht einmal die ihre ist.
Stellt sich die Frage, zu welchem guten Zweck eigentlich wie hier mit den harten Daten unseres pornographisch durchseuchten Alltags konfrontiert werden sollen; denn wo die ergreifende Nacherzählung eines amerikanischen Hardcore -Streifens, in dem eine Frau zerstochen und zersägt wird, nicht mehr sein will als eine Schocktherapie für ein (scheinbar) unwissendes Publikum (Premierenpublikum: mittelschichtig, Durchschnittsalter 35-40), ist eine differenzierte Debatte über Gewalt offenbar nicht erwünscht. Wir halten es also eher wie die Gefängniswärterin Rowenas in der letzten Szene des Stückes (vor dem Verhandlungssaal), die auch gerne wissen möchte, wovon der schlimme Film handelt, mitten in der Erzählung der Heldin aber strenge die Hände hebend sagt: „Hören Sie auf!“ Genauso werden manche in der Eingangsszene ein Kichern unterdrücken, wenn an der Bar von Rowenas Eltern saftige Männerwitze zum besten gegeben werden. Man weiß schließlich, wo man ist und wie man sich in einem solchen Stück zu betragen hat. So bleibt hier eine liebevolle, naturalistische Bühnenausstattung, ohne Brüche oder Überraschungen. Alles ist da: Rowenas Fönfrisur, Trevors Nickelbrille, Mutters pseudomondäner Morgenrock, Hilarys Pantherhöschen inklusive Whiskeyflasche und Yvonnes altmodische Sonnenkleider. Dies alles könnten ironische Zitate sein, aber es ist doch nur muffige Bühnenwirklichkeit mit Klaviermusik sanfter Art für den Liegestuhl im Garten und dunklen Spannungsmelodien an Bus- und U-Bahn -Haltestellen.
Raus aus dem Beichtstuhl und runter auf die Knie: zwei Vaterunser und drei Gegrüßet-seist-du-Maria, und so wird meine Seele gesund!
F.Hoppe
„Masterpieces“, mi, fr, sa und so jeweils um 20 Uhr im TAK, Möckernstraße 66, 1-61.
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