: Nüchtern wählt Slowenien die Demokratie
Die Siegerin der Wahlen, das Oppositionsbündnis DEMOS, ist keine geschlossene Formation / Reformkommunist Kucan ist Integrationsfigur ■ Aus Ljubljana Mikulic & Melcic
Als am Sonntag in Slowenien zum ersten Mal frei gewählt wurde, blieben die rund 1,5 Millionen Wahlberechtigten gelassen. Die Menschen ließen sich den Wochenendausflug nicht nehmen, so daß mancherorts die Wahllokale einfach länger aufblieben, um den abendlichen Andrang zu bewältigen. Vielleicht spiegelt sich die Gelassenheit auch im Ergebnis. Zumindest, was die Präsidentenwahl betrifft, drückt es die Kontinuität der politischen Diskussion der letzten Jahre aus. Der frühere KP-Chef Milan Kucan, der für die Entwicklung eines neuen Kurses seiner Partei, für die Formulierung der slowenischen Interessen gegenüber der jugoslawischen Bundesregierung und für die Demokratisierung des Landes viel getan hat, erreichte stolze 44,5 Prozent. Er verfehlte aber die absolute Mehrheit und muß deshalb am 22. April im zweiten Wahlgang gegen seinen Hauptkonkurrenten, den Sozialdemokraten Joze Pucnik, antreten.
Mit dem guten Abschneiden von Kucan haben die Slowenen sich bisher für eine moderate Position ausgesprochen. Der Reformkommunist setzte sich im Wahlkampf immer wieder von seinem Gegner Pucnik ab, der nach Kucans Worten in der Frage der staatlichen Eigenständigkeit „viel zu radikal“ sei und nur das Eingreifen der jugoslawischen Armee in Slowenien provoziere. Zwar ist auch Kucan für eine größere Autonomie des Landes, doch nicht, wie sein Kontrahent, für eine Abspaltung der Republik aus dem jugoslawischen Verband. Es paßt zur Atmosphäre dieser Wahl, daß weder Stalinisten noch Nationalisten den künftigen Kurs bestimmen können.
Auch bei den Parlamentswahlen spiegelte sich diese Tendenz. Wenn jetzt auch nach den vorliegenden Trends das Oppositionsbündnis DEMOS zur stärksten Kraft mit weit über 40 Prozent der Stimmen die Reformkommunisten mit ihren 20 Prozent abgehängt hat, darf nicht übersehen werden, daß sich in Slowenien alle wichtigen Parteien in die Mitte drängen. Alle sind sich darin einig - zwar verschieden nuanciert -, mehr staatliche Eigenständigkeit gegenüber Jugoslawien zu erlangen, die Marktwirtschaft einzuführen und einen bürgerlichen Rechtsstaat mitteleuropäischer Prägung aufzubauen. Und innerhalb dieses Einverständnisses bewegen sich auch die Reformkommunisten. Ihr Ergebnis ist deshalb nicht so vernichtend wie in Ungarn und Polen ausgefallen. Andererseits hat das Oppositionsbündnis DEMOS den politischen Ton angegeben. Es handelt sich aber keineswegs um eine geschlossene Formation. Schon jetzt sind drei Flügel darin auszumachen, ein konservativer mit den Christdemokraten und der Bauernpartei, ein nationalliberaler mit den Demokraten und Sozialdemokraten und die in Slowenien recht starken Grünen, die wie keine andere der Parteien die aus vielen Einzelinitiativen - von Antiatomkraft-, Menschenrechts- bis zu Frauengruppen - bestehende Demokratiebewegung der letzten Jahre repräsentiert. Die allein angetretenen Sozialisten blieben unter 5 Prozent, die Liberalen kamen auf 17 Prozent.
Auch gestern waren noch nicht alle Stimmen der Parlamentswahl ausgezählt. Schuld daran sind die komplizierten Wahlmodalitäten. Gewählt wurde, leicht verändert, nach dem alten System der sozialistischen Selbstverwaltung. Das Parlament besteht aus drei Kammern: einer Parlamentskammer im üblichen Sinne, für die im Verhältniswahlrecht gewählt wird, einer Kammer der regionalen Repräsentanz und einer Arbeits- und Wirtschaftskammer, für die nur die Werktätigen stimmberechtigt sind. Für die beiden letzten Kammern gilt das Mehrheitswahlrecht. So kam es zu der absurden Situation, daß manche Leute drei Stimmen hatten, andere aber nur zwei.
Bei ihren ersten freien Wahlen haben die Slowenen eine erstaunliche politische Reife bewiesen. Sie haben sich für ein in den Kräfteverhältnissen ausgewogenes Parlament entschieden, in dem eine parteiübergreifende Gesprächsbereitschaft herrschen wird. Nun kommt es darauf an, die neugewonnene Demokratie auf rechtsstaatliche Füße zu stellen, eine neue Verfassung zu erarbeiten, die Voraussetzungen für Privateigentum und einen Umbau der Wirtschaft zu klären. Dabei kann nirgends angeknüpft werden.
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