: Das neue Feld der „inneren Sicherheit“
Wenn es um Vorreiterrollen ging, war Italien schon immer vornedran: In der Reichseinigung des 19. Jahrhunderts den Deutschen um ein Jahrzehnt voraus, bei der Machtergreifung der Faschisten ebenfalls; aus dem Zweiten Weltkrieg stiegen sie schneller als alle anderen aus, zur demokratischen Republik wandelten sie sich ebenfalls in Spitzengeschwindigkeit. Diese Tradition ist ungebrochen: Als Deutsche, Engländer und Franzosen noch vorsichtig Gorbatschows neuen Kurs beäugten, saßen Fiat, Olivetti und Ferruzzi bereits fest im Zentrum der Sowjetwirtschaft. Nun steht Zukunftsweisendes für die EG an, und wieder ist Italien ganz vorn - mit der Aussonderung von Zuwanderern aus Staaten außerhalb der EG zum Beispiel, die derzeit mit nächtlichen Jagden auf Afrikaner und einer grauenhaften gesetzlichen „Reglementierung“ in Musterstädten wie Florenz und Mailand probeläuft. Oder mit der Frage des Drogenkonsums und -handels: Probleme, die vordergründig „nur“ Randgruppen wie Drogensüchtige, Ausländer und Kriminelle betreffen, doch die zu den wichtigsten Grundfragen künftiger europäischer Politik schlechthin werden könnten.
Die Herrscher der EG-Staaten nämlich haben sich das Feld des „Kampfes gegen das Krebsübel unserer Zeit: die Droge“ als Exerzierfeld für neue Feindbilder auserkoren. Ihnen allen ist gemeinsam, daß sie dem Drogenproblem bis vor kurzem völlig gleichgültig gegenüberstanden - trotz des Umstandes, daß sich seit Ende der siebziger Jahre die Zahl der Drogentoten alljährlich verdoppelt (in Italien und der BRD inzwischen tausend pro Jahr), trotz der Hilferufe von Medizinern und Soziologen, trotz der immer deutlicheren Verfilzung krimineller Organisationen und Personen auch mit Behörden und Politik.
Vorbild USA
Doch nun soll alles auf einmal ganz schnell gehen: England, Frankreich und Spanien haben bereits umfassende Antidrogengesetze verabschiedet, die Novellierung des bundesdeutschen Betäubungsmittelgesetzes steht bevor. Und allen voran wieder einmal Italien, mit neuen, in Europa bisher einmalig harten Normen, die sich vor allem gegen die Konsumenten richten. Von seiner New-York-Reise hatte Italiens Sozialistenführer Craxi die Erkenntnis mitgebracht, daß „nur eine Austrocknung des Marktes Erfolg bringen kann“. Und so hat er dem - in dieser Frage eher indifferenten christdemokratischen Ministerpräsidenten Andreotti unter Androhung der Scheidung abverlangt, ein Gesetzesvorhaben zu unterstützen, nach dem jeder bestraft werden soll, bei dem man auch nur ein Milligramm Stoff findet. Mehr noch: Wie weiland beim Antiterrorismus-Gesetz der BRD wäre auch die „Befürwortung von Drogenkonsum“ strafbar, sobald das (vom Senat bereits verabschiedete) Gesetz in Kraft tritt. Lieder wie die der Beatles wären dann verboten, sofern von LSD oder Haschisch die Rede ist. Nicht einmal der populäre Ohrwurm La Cucaracha dürfte noch gespielt werden, geht's darin doch auch um Marihuana.
Wer mit Drogen erwischt wird, sinkt nach dem italienischen Gesetzesvorhaben sukzessive in die Kriminalität ab; beim ersten Mal: Entzug des Führerscheins und des Reisepasses für ein bis vier Monate - je nach Art der Droge; beim zweiten Mal: zeitliche Verlängerung der Maßnahmen und die Auflage, sich zweimal wöchentlich bei der Polizei zu melden; beim dritten Mal Haft bis zu sechs Monaten - „ein Teufelskreis“, wie es nicht nur die oppositionellen Kommunisten, Grünen und die aus der Radikalen Partei hervorgegangenen Antiprohibitionisten formulieren, sondern auch Dissidenten aus dem Regierungslager, wie der ehemalige DC -Ministerpräsident Giovanni Goria und die Tochter des 1978 ermordeten Parteichefs Aldo Moro, Maria Fida.
Die vorgesehene Alternative, sich einer Entziehungskur zu unterziehen, die dann zur Aussetzung der Sanktionen führen soll, ist nach dem Urteil des linksunabhängigen Abgeordneten Stefano Rodota „eine rein rhetorische Floskel - bei 100.000 Süchtigen und nicht einmal 6.000 Therapieplätzen“. Tatsächlich zeigt sich in allen Gesetzen oder Gesetzentwürfen der EG-Länder eine merkwürdige Übereinstimmung in der Setzung von Prioritäten: Die „flankierenden“ sozialen und therapeutischen Maßnahmen rangieren, wenn überhaupt, ganz unten - weit hinter den Strafen und eingeführten oder einzuführenden neuen Fahndungsmethoden und Rechtskonstruktionen. Kritiker, auch in der BRD, mutmaßen, das Drogenproblem werde vor allem zur Einführung dieser neuen Ermittlungsmöglichkeiten hochgespielt.
Die Strafverschärfungstendenzen kommen zu einem Zeitpunkt in die Diskussion, wo in allen Ländern längst ein Großteil exekutiv und judikativ beteiligter Profis „eher der Legalisierung als noch härterem Vorgehen zuneigt“, wie sich Interpol-Sekretär Kendall ausdrückt. Detective Ralph Salerno aus New York ist sogar Vizepräsident der „Anti Prohibitionist League“.
Blitzableiter Drogenkampf
Die „ausschließliche Konzentration des Kampfes gegen die organisierte Kriminalität auf Gefechte gegen Drogen - selbst Normen gegen Geldwäsche werden nur in diesem Zusammenhang diskutiert - macht jedoch, von den Regierenden her gesehen, ausgesprochen Sinn“, so der angesehene Mafiaforscher Arlacchi: „Damit können sie all die großen Bereiche außen vor lassen, bei denen nicht nur der kleine Süchtige und der Drogenhändler mitwirken, sondern auch der Zoll- und Polizeibeamte und dazu der zur Kontrolle berufene Politiker oder Beamte die Augen zudrückt - wie etwa beim Waffenhandel, bei Schiebereien mit Devisen und Kunstwerken, EG -Subventionsschwindel und Konzessionen für Spielkasinos.“
Außenpolitisch haben die US-Amerikaner bereits vorgemacht, was man mit der Drogenkeule alles anstellen kann angefangen mit dem Aufdrängen von sogenannten „Beratern“ in Lateinamerika bis zur Invasion in Panama. Innenpolitisch zeigen die Italiener bei der Immigrantenhatz, was alles „drin“ ist: Verschärfte „Kontrolle“ und Kriminalisierung wird vornehmlich mit dem angeblichen Hang der Zugereisten zum Drogendeal und der Zugehörigkeit zu internationalen Organisationen gerechtfertigt.
Doch nicht nur für Drogenkonsumenten und Dealer steht nach der Erkenntnis des außenpolitischen Sprechers der italienischen Grünen, Sergio Andreis, „mächtig viel auf dem Spiel“: Da der Drogenhandel international weitgehend durch den Tausch von Waffen gegen Stoff abgewickelt wird, „würde mit der Legalisierung - und das hieße Zerschlagung des illegalen Drogenmarktes - die Bezahlung von Waffen unmöglich werden; die meisten Drogen-„Lieferstaaten“ haben keinerlei andere Möglichkeiten der Bezahlung.“ Das erklärt wohl auch, warum sich unter den besonders lautstark auftretenden Widersachern einer Legalisierung des Drogenmarktes im Vorreiterstaat Italien nicht nur mafioses Fußvolk und ihre Zuarbeiter in der Politik befinden, sondern auch ein Gutteil der Industrielobby im Norden - Leute, die über soziale Probleme ansonsten selten ein Wort verlieren.
Werner Raith
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen