: Losverfahren für neue Aids-Arznei?
■ Die Erprobung des neuen Virushemmstoffes DDI wird in der Bundesrepublik auf 180 Patienten begrenzt Betroffene und Aids-Hilfen verlangen nach positiven Studien in den USA freien Zugang zu dem Arzneimittel
Berlin (taz) - In der BRD soll in diesem Jahr das Aids -Medikament DDI getestet werden. Die Erprobung erfolgt im Rahmen einer Studie, die bundesweit auf 180 Patienten begrenzt ist. Dagegen wehren sich jetzt die Betroffenen: Erstmals drängen Selbsthilfegruppen, um an der Erprobung eines Medikamentes teilzunehmen. Und erstmals verlangen sie, daß ein Arzneimittel vor seiner wissenschaftlich abgeschlossenen Prüfung zugänglich sein soll.
In Berlin kritisierten gestern Aids-Hilfen und Schwulengruppen die restriktive Auslegung der DDI-Studie auf 180 Teilnehmer als „unverantwortlich“. Angesichts eines „erheblich höheren Bedarfs“, so Uwe Jahn von der Berliner Aids-Hilfe, müßten alle Betroffenen Zugang zu diesem neuen Medikament haben. Andreas Salmen von „Act-up“ unterstrich, daß schon allein in Berlin mehr als 180 Patienten für DDI in Frage kämen, aber nur 54 zugelassen seien. Dies werde dazu führen, so der Berliner Arzt Gerd Bauer, daß schließlich im Losverfahren ermittelt werde, wer Zugang zu dem Medikament erhalte.
Jürgen Poppinger, Vorstandsmitglied der Aids-Hilfe, berichtete über die Erfahrungen in den USA. Ähnlich wie AZT, das einzige in der BRD zugelassene Aids-Medikament, blockiere auch DDI die Virusvermehrung, sei aber weniger giftig und verursache nur geringe Nebenwirkungen. DDI werde seit Juni 1988 in den USA erprobt. Eine deutliche Verbesserung der Immunabwehr, vor allem eine Zunahme der bei Aids stark reduzierten T-Helfer-Zellen und Gewichtszunahmen, seien festgestellt worden. Poppinger macht sich keine Illusionen, daß bei längerer Anwendung eventuell doch noch starke Nebenwirkungen auftreten könnten, dennoch verlangt er den freien Zugang zu dem Medikament bei Personen, die aus ärztlicher Sicht DDI benötigen.
Die Frankfurter Aids-Spezialistin Prof. Helm, die zusammen mit ihrem Kollegen Stille die DDI-Studie durchführt, warnte gegenüber der taz vor einer voreiligen Freigabe von DDI. Das Medikament sei keinesfalls ausreichend abgesichert, die Studien aus den USA noch nicht einmal publiziert. Mit einem Hopplahopp-Verfahren „können Sie Menschen ganz furchtbar schaden“. Sollten sich innerhalb eines halben Jahres sichtbare Erfolge zeigen, könne DDI sehr schnell auch für andere Patienten verfügbar werden. Eine Zusammenarbeit mit den Aids-Hilfen bei der Durchführung von Medikamentenstudien lehnte sie ab: „Dazu ist kein Arzt bereit, die Verantwortung kann uns niemand abnehmen.“
Manfred Kriener
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