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LUSTNUTZEN, TRIEBSTAU

■ Warum österliche Verkehrsballung auf die Sexualität durchschlägt / Praktische Tips zur Streßminderung

„Jedesmal, wenn in New York der Strom ausfällt, schießen neun Monate später die Geburtenzahlen in die Höhe. Ostern 1990, so ist zu erwarten, wird einen gegenteiligen Bevölkerungseffekt haben. Das hat nur mittelbar etwas mit Nena zu tun, aber das Kindweib hat nun einmal das Credo westlichen Freiheitsmythos‘ ins Mikrofon gehaucht: „Gib Gas, ich will Spaß.“ Und darin, das wird zu zeigen sein, liegt die Gefahr - verkehrspsychologisch gesehen (wenn sich die durchschnittliche Fahrdauer vom Checkpoint Charlie zum Brandenburger Tor bei 2 1/2 Stunden einpendelt).

Weil jetzt zusammen fährt, was nach Brandt zusammenhört; will sagen: Die freien Tage dieses festlichen Wochenendes bringen auf den Straßen dieser Stadt Menschen zueinander, die aus völlig unterschiedlichen Kulturkreisen stammen (Westdeutsche, Berliner, DDR-Bürger). Wir wissen aus AsylantInnenheimen, daß das nicht gut geht.

Wissenschaftlich gesehen ergeben sich folgende Problemfelder (Ergebnis einer Studie mit 374 repräsentativen Autofahrern, s.a. Thömczky/Moppel: „Soziokulturell bedingte Dissonanzen auf öffentlichen Verkehrswegen. Versuch einer Annäherung“): Der PS-Hierarchie-Effekt: Fahrer sog. „Niedrigst-PS-Autos“ fühlen sich sozial deklassiert. Während Westler getuned, gespoilerd, schiebebedacht und ralleygestreift aus dem offenen Fenster den 4-Kanal-Stereo-Sound dröhnen lassen, röchelt sich der Ostblockmensch im Zwei-Takt-Koma von Ampel zu Ampel. Aggressionen sind unvermeidbar. Der Platzhirsch-Effekt: Heimische Automobilisten fühlen sich von all jenen Verkehrsteilnehmern in ihrer Entfaltung eingeschränkt, die kein B auf dem Nummernschild haben; faktisch sprechen sie ihnen die Daseinsberechtigung ab. Dies führt besonders - als Folge aufgekündigter Solidarität - zu Irritationen in der Gruppe der Dominierenden in der PS -Hierarchie. Der Reißverschluß-Effekt: Durch die unterschiedliche Gewöhnung an hohes Verkehrsaufkommen treten bei Engpäßen sog. „Einfädelfehler“ auf (stark abweichendes Verhalten vor allem bei Personen, die durch ihre geostrategische Lage nicht regelmäßig die Sendung „Der 7. Sinn“ sehen konnten). Kenner des „Reißverschluß-Systems“ reagieren mit Bluthochdruck, der sich auch durch verbale Abreaktion nur bedingt reduzieren läßt. Der Stau-Effekt: Verkehrsballungen, wie sie z.B. im innerstädtischen, Erholungs- oder Grenzbereich vorkommen, führen zu Spannungen, die in 17% der Fälle zu körperlichen Interaktionen führen. Die Situation „Wir-sitzen-alle-in -einem-Stau“ erzeugt keinen Solidaritätsdruck, sondern zerstört (vornehmlich im Hoch-PS-Bereich) die Assoziationskette Fahren Lust - mit destruktiven Auswirkungen im vegetativen Nervensystem.

Die angeführten Problem-Effekte kommen keinesfalls isoliert zum Tragen, sie überlappen sich, teils verstärkend, teils konterkarierend, je nach Zugehörigkeit zu den unterschiedlichen Gruppen divergierend. Einen hohen Grad an Übereinstimmung (phänotypische Kongruenz: 94%) aller drei untersuchten Gruppen indes ergab, was Thömczky/Moppel mit dem Begriff „Triebstau“ zu fassen suchen (umgangssprachlich ungenau: „Auf die Eier gehen“).

Kurz und global zeigen die Ergebnisse, daß sich die Dauer sexueller Enthaltsamkeit proportional zum Zeitraum des Verkehrsbetriebes verhält, und zwar etwa im Verhältnis 3:1 (nach mehr als fünf Stunden steigt die Kurve progressiv). Hierbei ergaben sich geschlechtsspezifisch zu vernachlässigende Differenzen, ebenso bei der Gruppe mit/ohne BeifahrerIn. Interessant hingegen ist zu bemerken, daß die Phase sexueller Inaktivität auch durch den Einsatz „externer Stimulantien“ (Aphrodisiaka, Erotik-Videos etc.) nur geringfügig zu verkürzen war (2,7%).

Bahnbrechend sind diese Ergebnisse insofern, als sie eine neue Sicht der Bevölkerungsproblematik erlauben, weg von der monokausalen sozio-politischen Betrachtungsweise (veränderte Lebensziele, Stadt-Land, Berufstätigkeit der Frau, rechtliche Regelung der Vor- und Nachschwangerschaftszeit etc.). Ökonomistisch interpretiert stellt sich - bezogen auf den Osterverkehr - die Frage nach dem „Lustnutzen“: Wieviel Lust bereitet das Autofahren in Abwägung zum absehbaren „Triebstau“?

Die Antwort kann nach Thömczky/Moppel in einer freien Gesellschaft jeweils nur eine individuelle sein. Dennoch lassen sich aus verkehrspsychologischer Sicht einige Ratschläge geben: Stürzen Sie sich nicht unvorbereitet in den Osterverkehr. Spielen Sie mögliche Konfliktsituationen im Kreise der Familie nach; wechseln Sie dabei die Rollenverteilung, das hilft, Ihre Mitfahrer besser zu verstehen. Versorgen Sie sich mit ausreichendem Kartenmaterial. Nie ohne Proviant losfahren! Leicht verdauliches, frisches Obst (DDR-Bürger: Kohlsalat, Rüben), Getränke nicht vergessen. Wenn der Stau zum Stillstand wird, steigen Sie aus, nehmen Sie Kontakt auf zu anderen Betroffenen, reden Sie ruhig mit ihnen; oder spielen Sie mit den Kindern Auto-Quartett, das vertreibt die Zeit. Suchen sie Ihre Ostereier zu Hause, auf dem Balkon, im Bad etc. Schauen Sie im Fotoalbum Bilder von früheren Osterausflügen an, als diese noch schadlos gemacht werden konnten. Sagen Sie ab und an: „Die ganze Stadt ist verstopft, weil die Arschlöcher unbedingt mit der Karre rumgurken müssen.“ Lachen Sie - das befreit - über die Dummheit anderer.

Dr. Thömmes

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