Spitzel im polnischen Parlament?

■ Auch in Polen hat eine Stasi-Debatte angefangen / Ständig werden in Hotels Wanzen entdeckt / Akten werden einfach vernichtet / Wohin sind 20.000 Geheimpolizisten verschwunden?

Aus Warschau Klaus Bachmann

So hatten sich die Polen die Auswirkungen der deutschen Vereinigung auf ihr Land kaum vorgestellt. In der jüngsten Parlamentsdebatte stellte Roman Bartoszcze, Abgeordneter der Bauernpartei, plötzlich die Frage, ob im Hohen Hause nicht vielleicht auch Spitzel säßen. Nur so sei es doch wohl zu erklären, daß niemand das Innenministerium an der Aktenvernichtung gehindert habe und daß die Auflösung des Vermögens der alten Staatspartei PVAP so schleppend vorankomme.

Prof. Geremek, Fraktionschef des Bürgerklubs, erklärte daraufhin im Parlament: „Solange diese Anschuldigungen nicht bewiesen sind, ist das eine pure Verleumdung, für die Sie, Herr Abgeordneter verantwortlich gemacht werden.“ Doch immerhin sandte der Chef der stärksten Fraktion einen Brief an die Regierung, sie möge doch die Vorwürfe von Bartoszcze überprü fen.

Leicht wird es nicht sein, Licht ins Dunkel der Affäre zu bringen. Zwar stoppte vor wenigen Wochen Innenminister Kiszczak persönlich per Dienstanweisung eine groß angelaufene Aktenvernichtungsaktion seiner Behörde. Einige Dienststellenleiter hatten unter dem Vorwand der Platzersparnis Aktenbündel gleich lastwagenweise abtransportieren lassen - kurz bevor Premier Mazowiecki den katholischen Publizisten Krzysztof Kozlowski zu Kiszczaks Stellvertreter machte. Doch waren es Journalisten der 'Gazeta Wyborcza‘ und der Regierungszeitung 'Rzeczpospolita‘, die Akten des Innenministeriums, angekohlt in der Wildnis oder auf Schutthalden liegend, fanden. In einem Fall handelte es sich um Konfidentenakten.

Die Beseitigung der Akten, so behauptet nun Bartoszcze, habe stattgefunden, um die Spitzel der Geheimpolizei in der Führung von Solidarnosc vor der Enttarnung zu schützen. Beweisen kann Bartoszcze das allerdings nicht, doch allein der Verdacht hat gereicht, um Polens Sejm in einen Bienenschwarm zu verwandeln. Anders als in der DDR haben aber in Polen keine Bürgerkomitees die Amtsstuben durchsiebt. Das Innenministerium blieb, wo es auch die bisherigen vierzig Jahre gewesen war - in der Hand der alten Machtträger. Ex-Politbüromitglied Kiszczak hat das Amt schon während des Kriegszustandes innegehabt. Viele von seinen Geheimpolizisten wurden inzwischen in die normale Polizei überführt, doch das Problem ist damit nicht vom Tisch: Mitte 1989 zählte die Geheimpolizei nach Angaben ihres Chefs 24.000 Beamte. Heute sind es gerade noch 3.153.

Wo ist der Rest geblieben?, fragt sich da nicht nur die 'Gazeta Wyborcza‘, deren Redakteur Jerzy Jachowicz inzwischen so etwas wie ein Ein-Mann-Bürgerkomitee nach dem Vorbild der DDR geworden ist. Einstweilen kann er mit Sicherheit nur sagen, wo sie nicht geblieben sind: in den geheimen Abhörzimmern der polnischen Hotels. Nachdem vor zwei Wochen in Poznan in einem Hotel ein Geheimzimmer mit Abhöreinrichtungen für die Hotelzentrale entdeckt wurde, ist nun bewiesen, daß „Wanzen“ weiter funktionierten. Dieses Hotel ist nicht das einzige, und auch in einem Postgebäude wurden solche Vorrichtungen gefunden, leer, selbstverständlich. Die Wanzen seien nur auf gesetzliche Weise benutzt worden, versicherte Kiszczaks Pressesprecher, Ex-Geheimpolizist Wojciech Garstka. Gesetzlich heißt mit Zustimmung des Ministers, nicht etwa eines Richters.

Inzwischen werde in ganz Polen nur eine Person abgehört, heißt es nun von offizieller Seite, ein des Terrorismus verdächtiger Ausländer. Doch endlich will die Presse nun alles ganz genau wissen: Die Akten der Geheimpolizei sollen zugänglich gemacht werden. „Wo sind unsere Ordner?“ fragte etwa ausgerechnet die Regierungszeitung 'Rzeczpospolita‘. Doch Wojciech Garstka will genau das nicht verraten: „Diese Leute, die da so laut schreien, sollen froh sein, daß wir sie nicht veröffentlichen, die könnten sonst ganz schnell ganz lange Gesichter kriegen“, meint er. Bartoszcze, übernehmen Sie...