„Die Grünen sind immer unentbehrlich“

Interview mit dem männlichen Spitzenkandidaten der NRW-Grünen, Michael Vesper, zur Situation seiner Partei vier Wochen vor der Landtagswahl am 13. Mai  ■ I N T E R V I E W

taz: Die Umfrageergebnisse für die Grünen zeigen in den Keller. Habt ihr den Kampf schon aufgegeben?

Michael Vesper: Nein, im Gegenteil: Nach Ostern geht's erst richtig los. Uns werden derzeit zwischen 5 und 7 Prozent prognostiziert. Wir wissen, daß wir kämpfen müssen.

Der Wahlkampf konzentriert sich auf die Personalalternative Rau oder Blüm. Thematisch spielt die Deutschlandpolitik eine große Rolle. Wie wollt ihr euch da Gehör verschaffen?

Die Alternative heißt nicht Rau oder Blüm. Jeder im Land weiß doch, daß Blüm keine Chance hat. Es geht darum, ob Rau weiter allein regieren kann oder ob er einen grünen Partner an seine Seite bekommt, der ihn dazu bringt, hier endlich eine ökologische Politik zu betreiben.

Rau hat eine Zusammenarbeit mit euch definitiv ausgeschlossen. Diese Option gibt es doch gar nicht.

Das haben schon viele vor Wahlen gesagt. Ich denke zum Beispiel an schwergewichtige SPD-Politiker, die vorher mit der Dachlatte drohten, um sich anschließend in einer rot -grünen Koalition wiederzufinden. Wenn die SPD die absolute Mehrheit verfehlt, dann sind alle Optionen offen.

Dann steht die FDP auf der Matte.

Richtig, die FDP dient sich ja heute schon in geradezu peinlicher Weise gleich beiden großen Parteien an. Die Frage ist allerdings, ob die Basis der SPD da mitspielt. Sie wird zu entscheiden haben, ob die SPD mit der wirtschaftshörigen FDP gemeinsame Sache machen will oder ob es zum rot-grünen Versuch, NRW ökologisch und sozial umzubauen, kommen soll. Das ist trotz Rau längst nicht entschieden. Aber auch bei einer rot-gelben Koalition sind die Grünen unentbehrlich als ökologische Opposition.

Die Grünen sind öffentlich nicht präsent. Euer Wahlkampf findet offenbar in Hinterzimmern statt. Ist die Partei gelähmt?

Ob wir öffentlich präsent sind oder nicht, entscheiden weniger wir selbst als die Medien. Jetzt befinden wir uns im Vorwahlkampf. Die Partei ist dabei, sich zu mobilisieren. Das ist bei den anderen Parteien ähnlich. Man wird in den nächsten Wochen noch viel von uns hören.

Um in den Medien gehört zu werden, mangelt es den Grünen in NRW an profilierten Köpfen. Die Partei hat sich bewußt gegen „Promis“ auf der Liste entschieden. Eine Fehlentscheidung?

Ja, auch ich hatte mir die Kadidatur von einigen bekannten grünen Politikern immer gewünscht. Dafür gab es leider schon im Vorfeld der Listenaufstellung keine Mehrheit. Jetzt kommt es darauf an, mit dieser, die politischen Inhalte hervorragend abdeckenden, Liste den Einzug in den Landtag zu schaffen.

Vor fünf Jahren haben die Grünen durch katastrophale Fehler die Landtagsfraktion leichtfertig verspielt. Damals gab es in der Öffentlichkeit eine große Offenheit für grüne Themen. Warum ist das heute so anders.

Die Situation hat sich im Grunde umgekehrt. Damals hatten wir große interne Probleme. Außerhalb der Partei begegnete man uns mit viel Sympathie. Jetzt haben wir intern klar Schiff, doch es mangelt am öffentlichen Interesse. Die Medienlandschaft in NRW ist für uns allerdings auch extrem schwierig. Die Regionalzeitungen sind quasi zwischen CDU und SPD aufgeteilt. Der WDR spielt die Grünen runter. Wir werden zum Beispiel nicht einmal zur Fernsehdiskussion der Spitzenkandidaten zugelassen. Man grenzt uns - wie schon bei der Kommunalwahl - aus.

Das interne Bild ist arg schöngefärbt. Euer umweltpolitischer Sprecher, Harry Kunz, hat erst vor ein paar Wochen „eine Kurskorrektur“ in der grünen Müllpolitik verlangt. Das kategorische Nein zur Verbrennung sei „völlig undifferenziert und unglaubwürdig“.

Das Papier, aus dem du zitierst, hat Harry Kunz zurückgenommen. Da sind sehr viel Mißverständnisse im Spiel. Wir Grünen stellen uns dem Problem, daß es auch bei konsequenter Vermeidung und Verwertung einen Restmüll geben wird und daß der nicht exportiert werden darf. Wir wenden uns aber gegen das Matthiesen-Programm, das auf eine Verdopplung der bestehenden Müllverbrennungsanlagen hinausläuft. Wir glauben, daß die bisherigen Kapazitäten in NRW ausreichen und daß durch den gigantischen Zubau der Druck auf eine konsequente Vermeidungspolitik einfach abnimmt.

In eurem Programm steht klipp und klar: „Wir lehnen die Verbrennung von Haus- und Gewerbemüll ab.“ Da steht nichts von Akzeptanz der bisherigen Anlagen. Das genau belegt die unglaubwürdige programmatische Phraseologie.

Mit diesem Satz haben wir ein Ziel formuliert. Unter heutigen Bedingungen ist er so sicher nicht durchhaltbar. Trotzdem bleibt unsere Kritik an der manischen Müllverbrennungspolitik von Matthiesen richtig. Was von Matthiesens Politik zu halten ist, hat er ja erst jüngst wieder im Bundesrat demonstriert. Dort hat NRW zusammen mit den CDU-Ländern - gegen den ausdrücklichen Willen einiger SPD-Länder - dafür gestimmt, daß künftig Müll auch in dafür überhaupt nicht geeigneten Industrieanlagen verbrannt werden kann.

Eure eigene Müllpolitik zeigt, daß man euer Programm nicht so ernst nehmen darf.

Doch, das muß man wohl sehr ernst nehmen, aber neben sehr praktischen Vorschlägen findet man im Programm auch utopische Ziele, die eine Richtung, keine kleinen Schritte angeben.

Vor der letzten niedersächsischen Landtagswahl gab es den Parteitag der Grünen in Hannover, der wegen seiner irren Beschlüsse nachhaltig dazu beigetragen hat, daß es für Rot -Grün in Hannover nicht reichte. Vor dem Parteitag in Hagen gab es ähnliche Befürchtungen. Wie tief bringt euch der Hagener Parteitag in den Keller?

Wir sind an einer parteigemachten Katastrophe noch einmal vorbeigeschrammt. Die Reaktionen sind doch sehr gemischt. Ich persönlich glaube, daß der Parteitag nicht dafür in Anspruch genommen werden kann zu sagen, die Realos hätten eine prägende Niederlage erlitten. Sie haben von drei wichtigen Abstimmungen eineinhalb gewonnen. Katastrophengeschrei ist deshalb unangebracht.

Es war bestenfalls ein Parteitag des grünen Stillstands. Positiv hat er für euch nichts gebracht.

Die Präambel zum Wahlprogramm halte ich auch für schwülstig und mittelmäßig, aber in der Deutschlandpolitik haben wir einem wichtigen Schritt nach vorn gemacht. Ich hoffe, daß sich das bei der Bundesversammlung im Juni fortsetzt.

Interview: Walter Jakobs