: Rein in die Nato - und radikal abrüsten
Die Gretchenfrage zwischen Allianz und SPD im außenpolitischen Bereich mußte die militärische Integration in die Nato sein. In der Koalitionsvereinbarung heißt es dazu, „daß das vereinigte Deutschland für eine Übergangszeit bis zur Schaffung eines gesamteuropäischen Sicherheitssystems Mitglied der sich in ihren militärischen Funktionen verändernden Nato sein wird“.
Zur Veränderung dieser „militärischen Funktionen“ steht zu lesen: „Die Nato-Mitgliedschaft eines vereinten Deutschland ist den osteuropäischen Staaten nur zumutbar, wenn damit sicher das Aufgeben bisher gültiger Nato-Strategien, wie Vorneverteidigung, Flexible Response und nuklearer Ersteinsatz, verbunden ist.“ Keine Antwort findet man in dem Papier allerdings auf die Frage, was geschehen soll, wenn sich die anderen Nato-Staaten nicht mit einer so weitreichenden Veränderung ihrer Militärdoktrin einverstanden erklären.
Verbunden wird diese Position mit weitreichenden Abrüstungsvorschlägen: „Bei den anstehenden Abrüstungsschritten sollten die deutschen Streitkräfte zusammen nicht größer sein als die in Mitteleuropa stationierten amerikanischen oder sowjetischen Streitkräfte.“ Das würde nach dem gegenwärtigen Wiener Verhandlungsstand bedeuten, daß die gesamtdeutsche Armee maximal 200.000 Mann umfaßt (gegenwärtiger Stand: zusammen etwa 670.000). Genau diese Forderung hatte Egon Bahr schon am 12. Februar auf einer Pressekonferenz der DDR-SPD vorgetragen und war damals von der CDU/CSU dafür heftig gescholten worden. Hier bahnt sich also einiger Zündstoff für künftige Verhandlungen an.
Hinzu kommt, daß auf dem Gebiet der heutigen DDR nach der Vorstellung der Koalition für eine Übergangszeit neben den sowjetischen Streitkräften eine Resttruppe der NVA bestehen soll, „die weder der Nato unterstellt noch Teil der Bundeswehr“ ist. Auch diese - aus der Sicht der Nato wertlosen - Truppen sollen der bereits drastisch abgespeckten Bundeswehr angerechnet werden.
Gegenüber dem Warschauer Pakt strebt die DDR einen „schrittweisen Abbau ihrer militärischen Verpflichtungen“ und eine Intensivierung der „politischen Zusammenarbeit“ an. Längerfristig geht es um die „Ablösung der Militärbündnisse durch ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem“.
In einem außenpolitischen Konflikt ersten Ranges haben die Koalitionsparteien klar Position bezogen. Sie fordern die „völkerrechtlich verbindliche Anerkennung der polnischen Westgrenze“. Dazu sollten „die beiden deutschen Parlamente (...) eine gleichlautende Erklärung abgeben“. Darüber noch hinausgehend, wird in dem Koalitionspapier - entsprechend der Forderung des polnischen Ministerpräsidenten Mazowiecki, die von Kanzler Kohl brüsk zurückgewiesen worden war - die Paraphierung eines Grenzvertrages verlangt, der dann nach der Vereinigung ratifiziert wird.
Generell will auch die neue Koalitionsregierung der DDR die „besondere Verbindung zu den Völkern Osteuropas auf wirtschaftlichem, politischem und kulturellem Gebiet entwickeln und vertiefen“. Berlin solle die künftige Hauptstadt sein, „um dieser Brückenfunktion einen besonderen Ausdruck zu geben“.
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