: Die Schattenkinder
■ Die Sportkolummne von Hagen Boßdorf
Es war einmal ein sehr sportliches Ehepaar. Sie heißt Ruth, er Horst und zusammen heißen sie Pahlitzsch. Die beiden Leipziger spielten einst Handball und das sogar sehr gut. Dafür durften sie einige Male das Trikot der Nationalmannschaft überstreifen, was ja wohl das allergrößte war für einen deutschen-demokratischen Sportler. Als es dann des Handballspielens genug war und Jüngeren der Ball übergeben wurde, dachte keiner von beiden daran, den Sport nun zu den Akten des Lebens zu legen. Keine Spur davon.
Sie wird Lehrerin im Hochschuldienst. Den Hörsaalbank geschädigten Studenten lockert sie die müden Glieder. Das war ja nicht das schlechteste. Doch nun wurde der Uni-Sport freiwillig. Und was macht dann eine Handball-Lehrerin mit drei Schülern? Logisch, sie spielt mit - beim Federballdoppel. Die Studenten nehmen ihr neues Recht war und die Hallen bleiben leer. Das vertreibt auch dem letzten Sportfreund unter den angehenden Akademikern die Freude am Sport. Der Lehrerin auch - sie will ihren Beruf an den Nagel hängen.
Aber vielleicht er. Hat ja den Sport nicht zum Beruf, sondern nur zum Hobby gemacht. Einmal in der Woche trainiert er ein Handball-Team. Manchmal möchte er lieber Handball -Haufen dazu sagen, der Leistungswille ist unter den Feierabend-Handballern der Bezirksklasse nicht mehr so sehr ausgeprägt. Übungsleiter nennt sich, was er macht. Woche für Woche für drei nochwas die Stunde. Das verdient ein gut postierter BILD-Zeitungsverkäufer in Leipzig bei Ankunft einer Straßenbahn. Die Zeiten werden hart: Schiedsrichter gibt es in den unteren Spielklassen kaum noch, die Hallen verdrecken, die Spieler haben zunehmend anderes im Kopf als dem runden Leder nachzuhächeln. Und trotzdem hoffen sie am Saisonende, ihr Übungsleiter würde doch noch ein Jahr dran hängen. Und noch eins, und noch eins.
Oder vielleicht ihre Kinder. Zwei Töchter schenkten sie dem Leistungssport der DDR. Eine hat es weit gebracht, wurde Nationalspielerin im Volleyball. Das viele unerbittliche Training zerstörte ihre Gesundheit. Nun spielt sie in Hamburg beim HSV. Und wenn die BILD-Zeitung den neuen Ost -Star lobt, können sich die Eltern so richtig gar nicht freuen.
Die Pahlitzsch-Familie ist nur ein Beispiel. Eins von den tausenden der fleißigen Sport-Arbeiter. Sie standen nie im Rampenlicht großer Triumphe. Und kein Star sagte, sie waren meine ersten Trainer. Aber wenn jetzt im DDR-Sport so nach und nach, von Sporthalle zu Sporthalle die Lichter ausgehen, sind sie die ersten, die im Schatten stehen. Es war einmal ein sehr sportliches Ehepaar.
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