: Bange vor dem Geist der Demokratiebewegung
■ Am Todestag des Reformpolitikers Hu Yaobang beugte die Pekinger Führung der Wiederbelebung der Demokratiebewegung mit hohem Sicherheitsaufgebot vor / „Geisteskranker“ festgenommen / Dissidentin Chai Ling befürwortet Sanktionen und Informationskampagne
Peking/Paris (afp/wps/taz) - „Geisteskrank“ sei der Mann, der am Sonntag ein Gebinde aus weißen Blumen zum Gedenken des vor einem Jahr verstorbenen Reformers Hu Yaobang auf dem Platz des Himmlischen Friedens niederlegen wollte. Dies attestierten ihm jedenfalls die Polizisten, die den Mann unmittelbar nach seiner Protestaktion festnahmen. Auf den Kranzschleifen stand: „In tiefer Trauer um die tapferen Kämpfer, die für die Wiederherstellung der chinesischen Nation, Freiheit und Demokratie starben.“ Für kurze Zeit hatte der Mann, der sich als Wissenschaftler aus der Provinz Guizhou ausgab, die Aufmerksamkeit einer kleinen Gruppe von Passanten und Auslandskorrespondenten auf sich gezogen. „Ich bin bereit“, entgegnete er auf die Frage, ob er bei dem hohen Polizeikräfteaufgebot nicht seine Verhaftung fürchte. Der etwa 40jährige Mann war mit einem Koffer-Boy und mehreren Plastiktüten auf dem Platz erschienen und sagte, er habe wegen der erwarteten Verhaftung gleich alles Nötige mitgebracht. Das Team des US-Nachrichtensenders CNN hatte den Vorfall auf Video festgehalten. Die Kassetten wurden beschlagnahmt, nach einer Stunde jedoch wieder zurückgegeben.
Zum ersten Todestag des in Ungnade gefallenen früheren Parteiführers Hu Yaobang hatte die chinesische Führung am Sonntag zahlreiche bewaffnete motorisierte Patrouillen und Zivilstreifen in der Hauptstadt eingesetzt. Am Tod des noch immer populären Politikers entzündeten sich im vergangenen Frühling die Proteste der Demokratiebewegung, die im Mai 1989 mit Hungerstreiks, Unterrichtsboykotten und Arbeitsausständen ihren Höhepunkt erreichten, bevor sie in der Nacht zum 4. Juni blutig niedergeschlagen wurden. Lange Zeit war der im Alter von 74 Jahren verstorbene Hu Yaobang ein Schützling des starken Mannes Deng Xiaoping gewesen. Er galt als Vorreiter der politischen und wirtschaftlichen Öffnungspolitik. Nach den Studentenunruhen im Januar 1987 wurde Hu Yaobang jedoch zum Rücktritt von seinem Parteiamt gezwungen.
Vor einem Jahr tauchten an den Universitäten zunächst große Porträts des verschiedenen Exparteichefs auf. Innerhalb von 48 Stunden verwandelte sich die Trauer in Forderungen nach demokratischen Reformen, Gewährung von Presse- und Meinungsfreiheit und der Bekämpfung der Korruption. In einem Sitzstreik klagten am 18. April bereits mehrere tausend Studenten die Rehabilitierung Hu Yaobangs ein.
In Frankreich meldete sich unterdessen am Wochenende die jüngst aus China geflüchtete Psychologiestudentin Chai Ling zu Wort. Nach der Niederschlagung der Bewegung hätten sie und ihr Mann zehn Monate im Untergrund zugebracht. Chai Ling, die der Organisationszentrale zur Verteidigung des Tiananmen angehörte, zählt zu den 21 am meisten gesuchten „Kriminellen“ in China. Die Studentenführerin sagte, sie werde vorerst in Frankreich bleiben, wo sie politisches Asyl beantragt habe. Sie habe noch nicht beschlossen, der in Paris von chinesischen Dissidenten gegründeten „Föderation für die Demokratie in China“ (FDC) beizutreten.
Chai Ling befürwortete Sanktionen gegen China. Gegen die Regierung von Li Peng sei jede Sanktion angebracht, sei es auf wirtschaftlichem, politischem oder anderem Gebiet. Derartige Sanktionen müßten jedoch mit einer Informationskampagne für die chinesische Bevölkerung verbunden sein. Vorbildlich sei in dieser Hinsicht das Schiff „Göttin der Freiheit“ mit seinen vor der Küste Chinas ausgestrahlten Radioprogrammen. Die Bevölkerung in China werde zunehmend bewußter. Scheinbar herrsche Schweigen in der Volksrepublik, aber die Mentalität in weiten Teilen des Volkes habe sich verändert. Chai Ling wurde am Sonnntag 24 Jahre alt. Ihr Mann ist nur einige Tage älter als sie.
Aus Untergrundkreisen wurde auch Kritik an Chai Ling laut. Zhai Wemin, der ebenfalls auf der „Liste“ steht und mit Wuer Kaixi bei der hitzigen TV-Debatte mit Li Peng auftrat, äußerte gegenüber dem 'Time Magazine‘, Chai Ling hätte nie dem Komitee der autonomen Studentenvereinigungen angehört. Als Leiterin des Tiananmenplatzes hätte sie zu emotional reagiert, sich aber am Vorabend der Räumung ihrer Absetzung widersetzt.
Stellungnahme zu Moslem-Konflikt
Erstmals seit Bekanntwerden der antichinesischen Unruhen in der überwiegend von Moslems bewohnten nordwestchinesischen Provinz Xinjiang an der Grenze zur UdSSR hat einer der stellvertretenden Sekretäre des Parteikomitees von Xinjiang indirekt Stellung genommen. Er forderte am Freitag, der Staat solle seine „diktatorische Funktion“ verstärken, um die nationale Einheit zu schützen. Eine Kopie der vom Fernsehen in Xinjiang verbreiteten Rede wurde am Samstag in Peking bekannt.
Die politische und wirtschaftliche Lage in der Region sei „relativ stabil“, sagte der Funktionär. Er deutete jedoch an, daß gegen ethnische Unruhen streng vorgegangen werde. Reisende berichteten aus Xinjiang, mindestens 60 Zivilisten und acht Polizisten seien am 5. und 6. April in Artux nahe Kashgar getötet worden, als moslemische Kirgisen gegen die Ausstellung von chinesischen Personalausweisen aufbegehrten. Sofort seien Truppen nach Kashgar, Hotan und Kuqa geflogen worden. Dies wurde von Behördenvertretern in Xinjiang weder bestätigt noch dementiert.
sl
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