: Beim Chemiewaffen-Hearing hört keiner hin
Vor einem Ausschuß des US-Senats muß das Verteidigungsministerium Schwierigkeiten bei der Zerstörung der alten C-Waffen und bei der Entwicklung der neuen binären Waffen zugeben / Dennoch ziehen die Militärs ihren Stiefel durch ■ Aus Washington Rolf Paasch
Politischer Alltag in der US-Hauptstadt. In Raum Nr. 222 des „Russel Senate Building“, direkt gegenüber dem Kapitol, hält der „Unterausschuß des Senats für strategische Streitkräfte und atomare Abschreckung“ ein Hearing zum Thema Chemiewaffen ab. Demokratie in Aktion: Die Legislative will prüfen, was die Exekutive mit den ihr zugewiesenen Geldern aus beziehungsweise angerichtet hat, und das Militär will den Kongreßabgeordneten beweisen, wie vorbildlich es bei der Gewährleistung der nationalen Sicherheit durch das Chemiewaffenarsenal gewirtschaftet hat. Nur - das Interesse scheint an diesem Donnerstag im April ungleich verteilt. Zwei einsam am ovalen Tisch plazierten Senatoren sitzt im vollen Zuschauerraum eine Phalanx aus Generälen, Majors und Colonels gegenüber. Und die scheinen jederzeit bereit, den beiden angetretenen HauptzeugInnen in Sachen Chemiewaffen zur Hilfe zu eilen.
Auf den restlichen Plätzen haben die Lobbyisten der Chemiewaffenindustrie und MitarbeiterInnen nicht anwesender Ausschußmitglieder Platz genommen. Das Interesse der Medien an diesem einzigen Hearing zu Unklarheiten rund um die Zerstörung der gegenwärtigen und die Entwicklung zukünftiger Chemiewaffen ist gleich Null. Nur ein Kollege der Nachrichtenagentur 'Reuter‘ langweilt sich am Pressetisch.
Als erste tritt Susan Livingstone, Assistenzsekretärin der Army und verantwortlich für Installationen, Logistik und Umwelt, in den Zeugenstand. „Sie wissen“, beginnt der Ausschußvorsitzende Senator Exon seinen Fragenkatalog, „wir sind nicht gerade glücklich über die Finanzierung. Ihr Programm scheint sich ja in einem ziemlichen Durcheinander zu befinden.“ Frau Livingstone weiß Bescheid und bemüht sich redlich, die Kritik des Kongresses mit einer optimistischen Interpretation des Programms zur chemischen Demilitarisierung (CSDP) zu entkräften. Das Vernichtungsprogramm auf dem Johnston Atoll im Pazifik (JACADS) „wird in vier bis sechs Wochen in seine 'heiße Phase‘ treten“, versucht sie den Senator zu beruhigen, nachdem die Versuchsanlage zur Zerstörung der mit Nervengas gefüllten M55-Raketen aufgrund technischer Schwierigkeiten immer wieder verschoben werden mußte. Wenn JACADS nach 16monatigen Tests seine Zerstörungskapazität bewiesen hat, sollen gleichartige Verbrennungsanlagen in den acht Chemiewaffenlagern der USA 90 Prozent der auf 40.000 Tonnen geschätzten US-amerikanischen C-Waffenbestände zerstören.
Daß sich diese gesetzlich bis zum Frühjahr 1997 vorgeschriebene C-Waffenvernichtung nach den Aussagen von Frau Livingstone vermutlich bis ins nächste Jahrtausend hinziehen wird, scheint den Demokraten Exon wenig zu stören. Während sein republikanischer Kollege, Senator Thurmont, mal eben zu einer Abstimmung in den Senat hinübereilt, versucht der Ausschußvorsitzende, den Verzögerungen bei der Chemiewaffenentsorgung etwas Positives abzugewinnen. „Könnte da nicht“, fragt er vorsichtig, „der für das Haushaltsjahr 1991 vorgesehene Posten von 354 Millionen Dollar etwas gestreckt werden, um die Haushaltskasse zu entlasten?“ Frau Livingstone und die Generäle schütteln energisch mit dem Kopf. An allen anderen Aspekten ihres Vortrags zum umstrittenen Transport der im rheinland-pfälzischen Claussen gelagerten US-amerikanischen C-Waffen auf das Johnston Atoll und ihrer dortigen Vernichtung hat Senator Exon kein Interesse. Es geht ihm nur um die Dollars.
Daß hier durch Europa transportiert werden wird, was in den USA aus Sicherheitsgründen nur vor Ort vernichtet werden soll; daß die JACADS-Chefin frechweg lügt, wenn sie behauptet, bei der C-Waffenverbrennung auf dem Atoll würden keinerlei giftige Rückstände entweichen; und sie bei der Beschreibung des Zusammenhangs zwischen der Finanzierung des C-Waffentransports und den vorher vorgeschriebenen Testversuchen die Auflagen des Kongresses falsch zitiert, all dies entgeht der parlamentarischen Kontrolle des Ausschusses.
Gegenüber dem „Fachwissen“ der Assistenzsekretärin und ihrer militärischen Adjutanten ist Senator Exon mit seinem von Mitarbeitern zusammengestellten Fragenkatalog völlig hilflos. Das gleiche Bild bietet sich dem Beobachter, als der inzwischen zurückgekehrte Senator Thurmont den zweiten Zeugen zur Entwicklung der neuen Generation von Binärwaffen befragt. Auch hier gibt der für C-Waffen zuständige stellvertretende Assistent von Verteidigungsminister Cheney, Dr. Richardson, zahlreiche Mängel und Pannen bei der Entwicklung der mit Binärgasen gefüllten 155mm -Artilleriegranaten sowie der chemischen „Bigeye„-Bombe zu. Dennoch werden die militärischen und politischen Prämissen der von der Bush-Administration verfügten Modernisierung des Chemiewaffenarsenals von niemandem hinterfragt. Statt dessen ist Senator Thurmont äußerst interessiert, wie das Pentagon nach der Weigerung der Bayer AG und anderer Chemieunternehmen nun das zur Entwicklung der Binärgase notwendige Thylenolchlorid besorgen will. Für Dr. Richardson kein Problem. Er behauptet, man könne den Stoff zur Herstellung eines der beiden Binärgase auf dem freien Markt erstehen. Doch ein bißchen nervös wird er schon. Denn falls dies nicht klappen sollte und die USA ihre Produktionsanlagen in Pine Bluff, Arizona, auf ein anderes Chlorid umrüsten müßten, würde dies das Binärwaffenprogramm erneut verzögern und verteuern. Das wäre dann wohl selbst für den in Sachen C-Waffen spendierwilligen Kongreß zu viel.
Wie Kinder, denen mit dem Entzug ihres Spielzeugs gedroht wird, versuchen Dr. Richardson und der für die „Bigeye„ -Bombe zuständige General eine Mittelkürzung zu verhindern. Stolz und mit Engelszungen reden sie von der „hochmodernen Technologie“ der Binärwaffen, von dem sich aufopfernden Mitarbeiterstab in den Produktionsstätten und von der Notwendigkeit einer Abschreckung auf allen „Theaterschauplätzen“ eines zukünftigen Krieges.
Wenn die USA nicht zwei Prozent ihres Unitärwaffenarsenals durch Binärwaffen ersetzten, argumentiert Dr. Richardson allen Ernstes, „kann doch ein Land wie der Irak die USA angreifen, ohne daß die Vergeltung befürchten müssen“. In dem Senatsausschuß, der unter der Führung von Senator Nunn jahrelang die C-Waffenmodernisierung getragen hat, geht selbst ein solch absurdes Argument unwidersprochen durch. Zeugen, die das Binärwaffenprogramm grundsätzlich kritisiert hätten, wurden erst gar nicht geladen. Eine Presse, die ihre Rolle auch in den langweiligen Niederungen der Demokratie dort wo Politik „gemacht“ wird - ernst nimmt, gibt es in Washington offenbar kaum. Und die Demokraten, die im Senat wie auch in diesem Ausschuß die Mehrheit haben, scheinen auf der Suche nach dem „Mainstream“ ihre Kritik an der Bush -Administration grundsätzlich aufgegeben zu haben. Und dies, obwohl die Veränderung der US-Position in der Frage der C -Waffenabrüstung durch Präsident Bush durchaus einer demokratischen Kritik würdig wäre.
Bush hatte im Oktober letzten Jahres plötzlich verkündet, die USA würden die letzten zwei Prozent ihres C -Waffenarsenals erst dann zerstören, wenn „alle Länder im Besitz dieser Waffen das Genfer C-Waffenabkommen unterzeichnet haben“. Außerdem würden sich die USA das Recht vorbehalten, auch nach der Unterzeichnung des Genfer Abkommens weiterhin fortgeschrittene Binärwaffen zu produzieren. Beide Ankündigungen verstoßen gegen den 1984 vom damaligen Vizepräsidenten George Bush in Genf vorgeschlagenen Vertragstext.
All dies ist den Senatoren offenbar gleichgültig. Auch in Zeiten der Entspannung wollen sie möglichst viel Waffen für wenig Geld. Diskussion und Demokratie, das sind im Washington dieser Tage Begriffe, die nur dann auftauchen, wenn von Osteuropa die Rede ist. Daheim scheinen weiterhin die Militärs den Kurs der Abrüstungspolitik zu bestimmen.
Erleichtert darüber, ihr Binärwaffenprogramm über die nächste Budgetrunde gebracht zu haben, steigen die Generäle schließlich draußen vor dem Kapitol in ihren Mannschaftswagen.
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