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Niedersachsens Grüne kennen keine Flügelkämpfe

Straßenwahlkampf der Grünen in Bad Münder, einer Kleinstadt 40 Kilometer westlich von Hannover. Der grüne Kreisverband hat ein ausgedientes rotes Löschfahr zeug - Aufschrift: „Die grüne Feuerwehr“ - als Wahlkampfmobil erworben, an dem nun auch der „Renner“ unter den grünen Wahlkampfplakaten klebt: Ernst Albrecht als Humphrey Bogart, der eine gelbe Banane wie eine Knarre in der Hand hält. Die grüne Spitzenkandidatin, die Landtagsabgeordnete Thea Dückert, hat ein offenes Ohr für die alltäglichen Probleme der Frauen, die am Wahlkampfstand stehen bleiben. Es geht um den unzureichenden öffentlichen Nahverkehr. Passanten wollen sich immer wieder über Ökowasch - und -putzmittel informieren. Eine junge Frau bekommt für ihren Dreijährigen keinen Kindergartenplatz. Thea Dückert, die selbst Mutter eines siebenjährigen Sohnes ist und in Oldenburg in einer Wohngemeinschaft lebt, spricht von ihren eigenen Erfahrungen. Sie hat eine direkte, freundliche Art, nimmt selten ein Blatt vor den Mund.

Ihre Diskussionveranstaltungen, zu denen Thea Dückert schon seit zwei Monaten durch Niedersachsen tourt, organisieren die Grünen immer themenbezogen. Die 39jährige promovierte Volkswirtin tritt auf, wenn es vor Ort um Wirtschaftpolitik, Industrieansiedlung oder Verkehrsprobleme geht. Hauptargument im Straßenwahlkampf wie im Saal sind die landespolitischen Erfolge der Grünen. „Die wirkliche und wirksame Opposition gegen Ernst Albrecht - das waren die Grünen“, sagt sie. Die Projekte Dollarthafen und Magnetschnellbahn Transrapid seien vom Tisch, der Minireaktor HTR-Modul sei nicht genehmigt worden. Die Grünen hätten etwa die Rüstungsaltlasten und die umstrittene Lagerung von Giftmüll in Salzkavernen in Niedersachsen erst zum Thema gemacht.

Geprägt von

Bürgerinitiativen

„Die Grünen sind zuerst in Niedersachsen entstanden - aus der Bürgerinitiativenbewegung. Wir sind zudem ein Flächenland. Viel stärker als andere Grünen-Landesverbände prägen uns die BIs vor Ort“, sagt sie. Im Grünen-Stammland Niedersachsen habe es deswegen auch nie diese Flügelkämpfe, „dies Getüdel wie in anderen Landesverbänden“ gegeben. Aus ihrer „realpolitischen Orientierung“ macht die Spitzenkandidatin zwar kein Hehl, doch sie hat „keinen Bock mehr, sich einem der bei den Grünen existierenden Flügel zuordnen zu lassen“. Vor allem sei sie „ganz schön stark niedersächsisch geprägt“. Die Erfolge der Grünen und auch ihre detaillierten Reformvorstellungen zum ökologischen Umbau des Landes will der niedersächsische Wähler indessen zur Zeit kaum honorieren. Nach der letzten Umfrage wollten nur noch 5,2 Prozent der Niedersachsen die Grünen wählen. „Die deutsch-deutsche Entwicklung hat die landespolitische Diskussion einfach niedergewalzt“, erklärt Thea Dückert dieses Ergebnis. Zudem haben die Sozialdemokraten mit der ehemaligen Greenpeace-Vorstandsfrau Monika Griefahn ihrerseits eine Umweltministerkandidatin präsentiert, die den Grünen auf deren ureigenem umweltpolitischem Feld Wählerstimmen abjagen soll.

Die Auswirkungen der Bundesversammlung in Hagen auf die Wählergunst werden von dieser Umfrage nicht einmal erfaßt. Auch wenn für Thea Dückert „das Gerede von einer Spaltung der Grünen in Niedersachsen keine Relevanz hat“ - nach dem Knatsch von Hagen klingelten im niedersächsischen Landesverband die Alarmglocken. Landesvorstand, alte Landtagsfraktion und die neuen Landtagskandidaten vereinbarten auf einem informellen Treffen, die aus Niedersachsen stammenden grünen Bundespolitiker für Donnerstag zum Rapport zu laden. Vor allem die in Osnabrück beheimatete Bundesvorstandssprecherin Ruth Hammerbacher hat durch ihre Spaltungsdrohungen den Zorn des Landesverbandes auf sich gezogen. „Es gibt ansonsten wirklich niemanden bei den Grünen in und aus Niedersachsen, der die Position von Ruth Hammerbacher vertritt“, versichert der grüne Landesgeschäftsführer Reinhard Bode, der sich selbst eindeutig zu den Realos zählt. Der Landtagsabgeordnete Hannes Kempmann, der auf Platz zwei der Landesliste kandidiert, möchte in der jetzigen Situation „machen Prominenten am liebsten einen Maulkorb verpassen“. Der 13. Mai ist für ihn ein entscheidendes Datum für die gesamte Partei: „Wenn wir im grünen Stammland Niedersachsen aus dem Parlament fliegen und in NRW wieder nicht hineinkommen, dann geht doch auf Bundesebene das Hauen und Stechen erst richtig los. Dann steht das grüne Projekt vor dem Scheitern.“

Die Niedersachsenwahl kann aber ebensogut zu einer Renaissance von Rot-Grün führen. Auch bei den Linken im Grünen-Landesverband ist es seit langem Konsens, daß die Regierung Albrecht durch Rot-Grün abgelöst werden muß. „Dafür müssen wir allerdings bis zur Wahl die FDP noch überholen“, sagt Thea Dückert. Der SPD-Spitzenkandidat Schröder liebäugele mit einer sozialliberalen Koalition. Doch über eine solche Koalition lasse sich die Bundesratsmehrheit nicht wirklich kippen, da die FDP ja schließlich auch in Bonn mitregiere. Nur Rot-Grün, so argumentiert die Spitzenkandidatin, könne die Katastrophe abwenden, die Niedersachsen durch den Schnellanschluß der DDR drohe. Ohne eine Änderung der bestehenden gesetzlichen Regelungen würden die Mittel, die Niedersachsen aus dem Länderfinanzausgleich, durch die Strukturhilfe und die Bundesergänzungszuweisungen erhalte, nach dem Anschluß fast vollständig in die DDR fließen. „Niedersachsen droht 10 bis 15 Prozent seiner Haushaltsmittel zu verlieren.“ Für Thea Dückert wäre es dann „zappenduster für die Landespolitik“.

Auch die eigenen Leute haben nach Auffassung der Spitzenkandidatin „noch nicht richtig begriffen, daß es in Niedersachsen um die Wurst geht“. Um „aufzutauchen“ und „Inhalte deutlich zu machen“, wollen die Grünen jetzt ihr Sofortprogramm für die ersten Monate einer rot-grünen Koalition vorstellen. Es sieht unter anderem einen Abbruch der Endlagerprojekte Gorleben und Schacht Konrad und einen ständigen Untersuchungsausschuß zur Kontrolle des niedersächsischen Verfassungsschutzes vor.

Zweitstimme für die Umwelt

Personell wollen die Grünen der SPD-Umweltministerkandidatin Griefahn mit dem Berliner Rechtsanwalt Reiner Geulen Paroli bieten, den sie für das Amt des Umwelt- und Stillegungsministers in Niedersachsen favorisieren. Am meisten setzen die Grünen aber zur Zeit auf das geänderte niedersächsische Wahlrecht, auf eine schamlose Zweitstimmenkampagne. Am Ende des Wahlkampfes soll alle Grünen-Plakate der Aufkleber „Die zweite Stimme für die Umwelt“ zieren. Gegen eine solche Zweitstimmenkampagne wird sich die SPD nicht wirklich wehren. Führende Sozialdemokraten fürchten schon jetzt ein Wahlergebnis, bei dem die SPD zwar stärkste Partei würde, die Grünen aber den Wiedereinzug nicht schaffen. Dann nämlich kann Gerhard Schröder nur noch Präsident des Landtages werden.

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