Wenn Pfarrer Minister werden

■ Rainer Eppelmann: Vom Friedensaktivisten zum Oberbefehlshaber

E S S A Y

Die Generäle in Strausberg werden die Hände über den Köpfen zusammengeschlagen haben: Nun auch noch ein Pfarrer als Verteidigungsminister, das fehlte gerade noch! Und tatsächlich ist schwer vorstellbar, wie der Pazifist Rainer Eppelmann den Kontakt zur Truppe pflegen will. Wird der einstige Pfarrer der Berliner Samaritergemeinde in Zukunft Paraden abnehmen?

Verständlich sind die Sorgen der Militärs, wenn sie gelesen haben, wie sich ihr neuer Chef einst zu Fragen der Friedenssicherung äußerte. „Frieden schaffen ohne Waffen“ war das Motto für den von Eppelmann und Altkommunist Robert Havemann 1982 verfaßten „Berliner Appell“. Darin wird unter anderem vorgeschlagen, daß die Alliierten nach einem Friedensvertrag „ihre Besatzungstruppen aus Deutschland abziehen“. Das klingt nach Neutralität und war auch so gemeint, wie der engagierte Friedenspfarrer in einem Interview bestätigte.

Dennoch brauchen sich die Offiziere und Unteroffiziere der Nationalen Volksarmee keine allzu großen Sorgen um ihren „Arbeitsplatz“ zu machen. Schon oft genug hat Eppelmann in letzter Zeit Positionen aufgegeben, die man einst für unaufgebbar hielt. Wie war das gleich mit der Blockflöte CDU? Und war man nicht voll des Lobes für das Dialogpapier zwischen SED und SPD? Am Dialog scheint der inzwischen zur Blockpartei der CDU gewordenen Partei Demokratischer Aufbruch nicht sonderlich viel zu liegen. In den Wahlkampf zog die Eppelmann-Partei mit dem Spruch „Stop SPD-PDS“. Daß zahlreiche Amtsbrüder in der DDR-Sozialdemokratie engagiert sind, schien wenig zu stören. Auch mit den Brüdern und Schwestern in der sogenannten Dritten Welt hat man nicht mehr viel am Hut. Angesprochen auf die Ängste vor den sozialen Folgen der Währungsunion, erklärte Pfarrer Eppelmann im Fernsehen, man schließe sich ja nicht mit Bangladesh zusammen. Ein Glück, daß der weit sympathischere Amtsbruder Ebeling Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit geworden ist.

Auch in Sachen Pazifismus und Neutralität wird zum Rückzug geblasen. Im Koalitionspapier der neuen DDR-Regierung wird davon ausgegangen, daß das vereinigte Deutschland für eine Übergangszeit Mitglied der Nato sein wird. Man darf gespannt sein, wie die vereinigungswillige Regierung de Maiziere die Nato zur Aufgabe der Vorneverteidigung zwingen will. Denn nur dann wolle man rein in die Nato. Solange es zwei verschiedene Militärbündnisse gibt, so Verteidigungsminister Eppelmann gegenüber dem 'Neuen Deutschland‘, sollten keine Nato-Soldaten östlich der Elbe stehen. Was das im Klartext bedeutet, erklärte der Pfarrer so: „Wenn es bloß noch eins gibt, ob dies dann Weihnachtsbaum, Nato, Appelbaum oder KSZE heißt, ist das etwas anderes.“ Alles klar?

Sinneswandlungen sind auch bei anderen Jungministern festzustellen. Dr. Gottfried Müller, CDU-Theologe, zum Beispiel, setzte sich noch im September letzten Jahres mit einem offenen „Brief aus Weimar“ für einen verbesserten Sozialismus ein. Heute schon heißt es in seiner Partei „Nie wieder Sozialismus!“ Wie schnell das alles geht.

Für die einstige evangelische „Kirche im Sozialismus“ hat sich die Situation vollkommen geändert. War sie bis vor kurzem noch dank der Trennung von Staat und Kirche die einzige „unabhängige Vertrauensinstanz“ (Forck), so sitzen die Pfarrer der Friedenswerkstätten, Bluesmessen, Synoden und Kirchentage heute in Ministersesseln. Im kürzlich erschienen 'Merian-DDR-Extra-Heft‘ konnte der Berliner Konsistorialpräsident Manfred Stolpe noch die Haltung der westdeutschen Kirche als „im Ganzen deutlich konservativer“ als in der DDR bezeichnen. Der Grund: „Die Nähe zur Regierungsmacht ist dort ganz stark. Viel stärker, als sie bei uns je sein konnte. Da waren für uns immer ganz unvorstellbare Vorgänge einer starken Rücksichtnahme auf Regierungskräfte. Es gibt ständige Kontakte. Es sind doch auch zum Teil Glieder der Kirche, die Ministerämter haben, die Generäle sind.“ Rainer Eppelmann 1988: „Das Arrangement mit Mächtigen, Einflußreichen oder Regierenden ist nicht unser Auftrag.“

Und was ist nun der Auftrag der evangelischen Kirchen in der Noch-DDR? Heinrich Fink, Theologie-Professor und neuer Rektor der Humboldt-Uni, sieht die Aufgabe der Kirche darin, Skandal zu sein: „Kirche, die nicht zum Skandal wird, ist für mich keine Kirche.“ Es stehe ja schon in der Bibel, daß das Evangelium für die Griechen eine Torheit und für die Juden ein Skandal war. „Und so wird das in jeder Gesellschaft sein müssen.“ Angesichts der Übernahme von Regierungsverantwortung durch Kirchenleute sieht Fink Gefahren für die Unabhängigkeit der Kirchenparlamente. „Die Synoden der DDR-Kirchen haben auf den Staat DDR keine Rücksicht genommen, sie werden hoffentlich genauso rücksichtslos gegenüber neuen Staatsgebilden sein.“

Über den weiteren Weg der einstigen Vertrauensinstanz evangelische Kirche wird kontrovers diskutiert. Soll die Religionskunde wieder zurück an die Schulen? Soll nach westdeutschem Vorbild die Kirchensteuer gleich vom Gehalt abgezogen werden? Wie schnell sollen Ost- und West-Kirche zusammenwachsen? Daß es bei dieser Diskussion nicht nur um Formfragen geht, zeigt der Streit um das künftige Kirchensteuersystem. Nachdem die evangelischen Kirchenleitungen sich dafür aussprachen, die Steuern „wie drüben“ zu kassieren, meldete sich Altbischof Albrecht Schönherr zu Wort. Er halte dies für „geistlich gefährlich“, erklärte er in der Wochenzeitung 'Die Kirche‘. Denn die bei diesem Einzugssystem immer vorhandene Drohung mit der Zwangsbeitreibung würde eine „erhebliche Austrittswelle“ bewirken. Statt dessen sollte man die Gemeindeglieder motivieren, freiwillig mehr zu opfern.

Auch im internationalen Gespräch wird die DDR-Kirche auf ganz neue Weise ins Gerede kommen. Waren die Protestanten hierzulande vor allem für die Christen in den Entwicklungsländern wegen ihres Verhältnisses zu Marxisten interessant, so werden sie in Zukunft sicher auf ihre Haltung zur Marktwirtschaft angesprochen. Denn noch im April letzten Jahres beklagte die in der Ökumenischen Versammlung vereinte DDR-Christenheit die Folgen der Marktwirtschaft, die ungerechte Weltwirtschaftsordnung. In dem von den Vertretern von 19 Kirchen und Glaubensgemeinschaften verabschiedeten Text heißt es: „Wesentliche Wurzeln und Triebkräfte der weltweiten Strukturen der Ungerechtigkeit liegen in dem durch kapitalistische, das heißt einseitig marktwirtschaftliche Mechanismen geprägten internationalen Wirtschafts- und Finanzsystem.“ Und an anderer Stelle: „Wir meinen, daß wir unseren Lebensstandard nicht auf Kosten der Zwei-Drittel-Welt erhöhen dürfen. Daraus folgt, daß wir die Orientierung auf immer bessere Befriedigung der ständig wachsenden materiellen Bedürfnisse und am westlichen Wohlstand aufgeben.“

Was damals Konsens unter den DDR-Kirchen war, gerät zunehmend in Vergessenheit. Wahrscheinlich müssen erst wieder unbequeme Gruppen Alarm schlagen, um die inzwischen regierenden Christen an ihre Forderungen vergangener Zeiten zu erinnern. Mit Spannung erwarten kann man auch das Verhalten der evangelischen Kirche in der Friedensfrage. Denn in diesem Punkt hat sie sich bereits 1987 auf ein „Bekennen in der Friedensfrage“ festgelegt. Darin erteilen die Protestanten „Geist, Logik und Praxis der Abschreckung“ eine klare Absage. Wenn die DDR nun unter Federführung eines Pfarrers in die Nato integriert wird, müßten die Christen des Landes eigentlich auf die Barrikaden gehen. Hoffentlich haben sie das bis dahin nicht längst verlernt!

Stefan Berg